Augsburger Allgemeine (Land West)

Über Stock und Stein

Eine Wanderung durchs Oderbruch

- VON INGA DREYER

Die schwarz-weißen Ziegen Aragon und Steffen mit ihren langen Hörnern sind stattliche Erscheinun­gen. Doch neben ihrem Besitzer fällt das nicht so auf, denn der ist selbst sehr groß. Lange Beine, Ziegenbärt­chen – man wird den Eindruck nicht los: Wenn Aragon und Steffen Menschen wären, sie sähen aus wie Mirko Zimmermann. Während eines Urlaubs in der Schweiz hat der gelernte Koch zum ersten Mal Pfauenzieg­en gesehen. Das Oderbruch im Osten Brandenbur­gs liegt etwa 70 Kilometer von Berlin entfernt: ruhig, ländlich, flach. Was die Schweizer Gebirgszie­gen in dieser Gegend tun? Klar: Sie wandern. „Am Anfang wurden wir schon belächelt“, sagt Zimmermann. Aber gerade verrückte Ideen bleiben ja im Gedächtnis. „Mir ist es wichtig, meine Heimat näherzubri­ngen und Ecken zu zeigen, die man vom Auto oder Fahrrad aus nicht sehen kann.“Und das geht am besten zu Fuß und mit Gepäcktran­sport. Dafür sind Aragon und Steffen zuständig. Morgens hing eine graue Nebelsuppe über den Feldern, nun strahlt der Himmel in herrlichem OderbruchB­lau. Die Ziegen sind wie zwei von der Leine gelassene Hunde. Zimmermann, Mitte 30, stammt aus dem Bruch. In Hamburg hat er Koch gelernt, doch dann waren die Wurzeln stärker als die große weite Welt. So erzählt er es. Zurück an der Oder arbeitete Zimmermann in der Gastronomi­e und betreibt heute seit vier Jahren ein kleines Restaurant in Altreetz, einem der kleinen Oderbruch-Dörfer. Mit seinem Kompagnon David Kluck will er die Gegend touristisc­h entwickeln, aber auch Anlaufpunk­t für Einheimisc­he sein. „Man kann schlecht für die Region stehen und dann nicht präsent sein“, sagt Kluck. Auf Anfrage organisier­t das ungleiche Gespann Wanderunge­n – Mirko Zimmermann als Oderbruch-Gewächs mit brandenbur­gischem Witz und David Kluck, der kleine aufgeschlo­ssene Zugezogene aus Frankfurt am Main. Noch immer wird das Oderbruch, im 18. Jahrhunder­t auf Geheiß Friedrichs II. trockengel­egt, durch ein ausgeklüge­ltes System aus Sielen, Deichen und Schöpfwerk­en gegen das Wasser verteidigt. „Man würde hier sonst bis zum Bauchnabel im Matsch stehen“, sagt Kluck. Mit den Ziegen geht es hinauf auf den Deich. Der Wind streift durchs Gesicht, die Luft ist klar, kein Auto weit und breit. Stille. Unten der breite Fluss, der zur Ostsee strömt. Der Deich wird zum Laufsteg für die Ziegen. Spaziergän­ger gucken ungläubig.

Von klein auf geliebt

Zollbrücke ist ein touristisc­hes Zentrum im Miniaturfo­rmat mit Restaurant­s und ein paar Fachwerkhä­usern. Vor einer Gaststätte muss Mirko Zimmermann aufpassen, dass die Ziegen nicht die Dekoration abfressen. „Schafe und Ziegen habe ich schon zu DDR-Zeiten geliebt“, erzählt er. So sehr, dass er sich von seinem ersten Taschengel­d eine Ziege gekauft hat. Die schlauen und genügsamen Tiere gehören zum Oderbruch. „Sie war schon immer die Kuh des kleinen Mannes.“Die Wanderung endet auf dem Ziegenhof von Michael Rubin, einem weiteren Unikat der Region. Der Oderbruch-Ranger mit Cowboy-Hut serviert Ziegenkäse­kuchen und Filterkaff­ee. Er hat einen kleinen Verkaufsra­um mit Glasvitrin­e, in der selbst gemachte Frischkäse­kugeln in Öl und bunten Gewürzen liegen. Es ist spät geworden. Luxus sucht man im Oderbruch vergeblich. Aber wer Lust hat, einen eigentümli­chen Landstrich zu erkunden, ist dort richtig. „Man muss hier ein bisschen Zeit verbringen, um zu erleben, wie es ist“, sagt Zimmermann. Dann entdecke man die Schönheite­n. „Bei schlechtem Wetter ist es am schönsten hier. Es ist so groß, so gewaltig, und es gibt unglaublic­he Sonnenunte­rgänge.“

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Fotos: Inga Dreyer, Patrick Pleul Der Deich wird zum Laufsteg für die Ziegen: Mirko Zimmermann ist unter wegs mit den Pfauenzieg­en Aragon und Steffen.

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