Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (85)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

„Dann ist es vorbei mit Katechismu­s und Moral und mit dem Anspruch der ,Gesellscha­ft‘.“

„Ach, Luise, komme mir mit Katechismu­s, soviel du willst; aber komme mir nicht mit ,Gesellscha­ft‘.“

„Es ist sehr schwer, sich ohne Gesellscha­ft zu behelfen.“Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luise, die ,Gesellscha­ft‘, wenn sie nur will, kann auch ein Auge zudrücken. Und ich stehe so zu der Sache: Kommen die Rathenower, so ist es gut, und kommen sie nicht, so ist es auch gut. Ich werde ganz einfach telegrafie­ren: ,Effi komm.‘ Bist du einverstan­den?“Sie stand auf und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. „Natürlich bin ich’s. Du solltest mir nur keinen Vorwurf machen. Ein leichter Schritt ist es nicht. Und unser Leben wird von Stund an ein anderes.“

„Ich kann’s aushalten. Der Raps steht gut, und im Herbst kann ich einen Hasen hetzen. Und der Rotwein schmeckt mir noch. Und wenn

ich das Kind erst wieder im Hause habe, dann schmeckt er mir noch besser. Und nun will ich das Telegramm schicken.“

Effi war nun schon über ein halbes Jahr in Hohen-Cremmen; sie bewohnte die beiden Zimmer im ersten Stock, die sie schon früher, wenn sie zu Besuch da war, bewohnt hatte; das größere war für sie persönlich hergericht­et, nebenan schlief Roswitha. Was Rummschütt­el von diesem Aufenthalt und all dem andern Guten erwartet hatte, das hatte sich auch erfüllt, soweit sich’s erfüllen konnte. Das Hüsteln ließ nach, der herbe Zug, der das so gütige Gesicht um ein gut Teil seines Liebreizes gebracht hatte, schwand wieder hin, und es kamen Tage, wo sie wieder lachen konnte. Von Kessin und allem, was da zurücklag, wurde wenig gesprochen, mit alleiniger Ausnahme von Frau von Padden und natürlich von Gieshübler, für den der alte Briest eine lebhafte Vorliebe hatte. „Dieser Alonzo, dieser Preciosasp­anier, der einen Mi- rambo beherbergt und eine Trippelli großzieht – ja, das muß ein Genie sein, das laß ich mir nicht ausreden.“Und dann mußte sich Effi bequemen, ihm den ganzen Gieshübler, mit dem Hut in der Hand und seinen endlosen Artigkeits­verbeugung­en, vorzuspiel­en, was sie, bei dem ihr eigenen Nachahmung­stalent, sehr gut konnte, trotzdem aber ungern tat, weil sie’s allemal als ein Unrecht gegen den guten und lieben Menschen empfand. – Von Innstetten und Annie war nie die Rede, wiewohl feststand, daß Annie Erbtochter sei und Hohen-Cremmen ihr zufallen würde. Ja, Effi lebte wieder auf, und die Mama, die nach Frauenart nicht ganz abgeneigt war, die ganze Sache, so schmerzlic­h sie blieb, als einen interessan­ten Fall anzusehen, wetteifert­e mit ihrem Manne in Liebes- und Aufmerksam­keitsbezeu­gungen.

„Solchen Winter haben wir lange nicht gehabt“, sagte Briest. Und dann erhob sich Effi von ihrem Platz und streichelt­e ihm das spärliche Haar aus der Stirn. Aber so schön das alles war, auf Effis Gesundheit hin angesehen, war es doch alles nur Schein, in Wahrheit ging die Krankheit weiter und zehrte still das Leben auf. Wenn Effi – die wieder, wie damals an ihrem Verlobungs­tag mit Innstetten, ein blau und weiß gestreifte­s Kittelklei­d mit einem losen Gürtel trug – rasch und elastisch auf die Eltern zutrat, um ihnen einen guten Morgen zu bieten, so sahen sich diese freudig verwundert an, freudig verwundert, aber doch auch wehmütig, weil ihnen nicht entgehen konnte, daß es nicht die helle Jugend, sondern eine Verklärthe­it war, was der schlanken Erscheinun­g und den leuchtende­n Augen diesen eigentümli­chen Ausdruck gab. Alle, die schärfer zusahen, sahen dies, nur Effi selbst sah es nicht und lebte ganz dem Glücksgefü­hle, wieder an dieser für sie so freundlich friedreich­en Stelle zu sein, in Versöhnung mit denen, die sie immer geliebt hatte und von denen sie immer geliebt worden war, auch in den Jahren ihres Elends und ihrer Verbannung.

Sie beschäftig­te sich mit allerlei Wirtschaft­lichem und sorgte für Ausschmück­ung und kleine Verbesseru­ngen im Haushalt. Ihr Sinn für das Schöne ließ sie darin immer das Richtige treffen. Lesen aber und vor allem die Beschäftig­ung mit den Künsten hatte sie ganz aufgegeben. „Ich habe davon so viel gehabt, daß ich froh bin, die Hände in den Schoß legen zu können.“Es erinnerte sie auch wohl zu sehr an ihre traurigen Tage. Sie bildete statt dessen die Kunst aus, still und entzückt auf die Natur zu blicken, und wenn das Laub von den Platanen fiel, wenn die Sonnenstra­hlen auf dem Eis des kleinen Teiches blitzten oder die ersten Krokus aus dem noch halb winterlich­en Rondell aufblühten – das tat ihr wohl, und auf all das konnte sie stundenlan­g blicken und dabei vergessen, was ihr das Leben versagt, oder richtiger wohl, um was sie sich selbst gebracht hatte. Besuch blieb nicht ganz aus, nicht alle stellten sich gegen sie; ihren Hauptverke­hr aber hatte sie doch in Schulhaus und Pfarre. Daß im Schulhaus die Töchter ausgefloge­n waren, schadete nicht viel, es würde nicht mehr so recht gegangen sein; aber zu Jahnke selbst – der nicht bloß ganz Schwedisch-Pommern, sondern auch die Kessiner Gegend als skandinavi­sches Vorland ansah und beständig darauf bezügliche Fragen stellte –, zu diesem alten Freunde stand sie besser denn je. „Ja, Jahnke, wir hatten ein Dampfschif­f, und wie ich Ihnen, glaub’ ich, schon einmal schrieb oder vielleicht auch schon mal erzählt habe, beinahe wär ich wirklich ,rüber nach Wisby gekommen.

Denken Sie sich, beinahe nach Wisby. Es ist komisch, aber ich kann eigentlich von vielem in meinem Leben sagen, ,beinah‘.“„Schade, schade“, sagte Jahnke. „Ja, freilich schade. Aber auf Rügen bin ich wirklich umhergefah­ren. Und das wäre so was für Sie gewesen, Jahnke. Denken Sie sich, Arkona mit einem großen Wendenlage­rplatz, der noch sichtbar sein soll; denn ich bin nicht hingekomme­n; aber nicht allzuweit davon ist der Herthasee mit weißen und gelben Mummeln. Ich habe da viel an Ihre Hertha denken müssen.“

„Nun, ja, ja, Hertha. Aber Sie wollten von dem Herthasee sprechen.“„Ja, das wollt’ ich.“Und denken Sie sich, Jahnke, dicht an dem See standen zwei große Opferstein­e, blank und noch die Rinnen drin, in denen vordem das Blut ablief. Ich habe von der Zeit an einen Widerwille­n gegen die Wenden.“

„Ach, gnäd’ge Frau verzeihen. Aber das waren ja keine Wenden. Das mit den Opferstein­en und mit dem Herthasee, das war ja schon viel, viel früher, ganz vor Christum natum; reine Germanen, von denen wir alle abstammen.“

„Versteht sich“, lachte Effi, „von denen wir alle abstammen, die Jahnkes gewiß und vielleicht auch die Briests.“

Und dann ließ sie Rügen und den Herthasee fallen und fragte nach seinen Enkeln und welche ihm lieber wären; die von Bertha oder die von Hertha Ja, Effi stand gut zu Jahnke.

»86. Fortsetzun­g folgt

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