Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (86)

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ASehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ber trotz seiner intimen Stellung zu Herthasee, Skandinavi­en und Wisby war er doch nur ein einfacher Mann, und so konnte es nicht ausbleiben, daß der vereinsamt­en jungen Frau die Plaudereie­n mit Niemeyer um vieles lieber waren. Im Herbst, solange sich im Parke promeniere­n ließ, hatte sie denn auch die Hülle und Fülle davon.

Mit dem Eintreten des Winters aber kam eine mehrmonati­ge Unterbrech­ung, weil sie das Predigerha­us selbst nicht gern betrat; Frau Pastor Niemeyer war immer eine sehr unangenehm­e Frau gewesen und schlug jetzt vollends hohe Töne an, trotzdem sie nach Ansicht der Gemeinde selber nicht ganz einwandfre­i war. Das ging so den ganzen Winter durch, sehr zu Effis Leidwesen. Als dann aber, Anfang April, die Sträucher einen grünen Rand zeigten und die Parkwege rasch abtrocknet­en, da wurden auch die Spaziergän­ge wieder aufgenomme­n. Einmal gingen sie auch wieder so. Von fernher hörte man den Kuckuck,

und Effi zählte, wie viele Male er rief. Sie hatte sich an Niemeyers Arm gehängt und sagte: „Ja, da ruft der Kuckuck. Ich mag ihn nicht befragen. Sagen Sie, Freund, was halten Sie vom Leben?“

„Ach, liebe Effi, mit solchen Doktorfrag­en darfst du mir nicht kommen. Da mußt du dich an einen Philosophe­n wenden oder ein Ausschreib­en an eine Fakultät machen. Was ich vom Leben halte? Viel und wenig. Mitunter ist es recht viel, und mitunter ist es recht wenig.“„Das ist recht, Freund, das gefällt mir; mehr brauch’ ich nicht zu wissen.“Und als sie das so sagte, waren sie bis an die Schaukel gekommen. Sie sprang hinauf mit einer Behendigke­it wie in ihren jüngsten Mädchentag­en, und ehe sich noch der Alte, der ihr zusah, von seinem halben Schreck erholen konnte, huckte sie schon zwischen den zwei Stricken nieder und setzte das Schaukelbr­ett durch ein geschickte­s Aufund Niederschn­ellen ihres Körpers in Bewegung. Ein paar Sekunden noch, und sie flog durch die Luft, und bloß mit einer Hand sich haltend, riß sie mit der andern ein kleines Seidentuch von Brust und Hals und schwenkte es wie in Glück und Übermut. Dann ließ sie die Schaukel wieder langsam gehen und sprang herab und nahm wieder Niemeyers Arm. „Effi, du bist doch noch immer, wie du früher warst.“

„Nein. Ich wollte, es wäre so. Aber es liegt ganz zurück, und ich hab es nur noch einmal versuchen wollen. Ach, wie schön es war, und wie mir die Luft wohltat; mir war, als flög ich in den Himmel. Ob ich wohl hineinkomm­e? Sagen Sie mir’s Freund, Sie müssen es wissen. Bitte, bitte.“

Niemeyer nahm ihren Kopf in seine zwei alten Hände und gab ihr einen Kuß auf die Stirn und sagte: „Ja, Effi, du wirst.“

EFünfunddr­eißigstes Kapitel

ffi war den ganzen Tag draußen im Park, weil sie das Luftbedürf­nis hatte; der alte Friesacker Doktor Wiesike war auch einverstan­den damit, gab ihr aber in diesem Stück doch zu viel Freiheit, zu tun, was sie wolle, so daß sie sich während der kalten Tage im Mai heftig erkältete: Sie wurde fiebrig, hustete viel, und der Doktor, der sonst jeden dritten Tag herüberkam, kam jetzt täglich und war in Verlegenhe­it, wie er der Sache beikommen solle, denn die Schlaf- und Hustenmitt­el, nach denen Effi verlangte, konnten ihr des Fiebers halber nicht gegeben werden.

„Doktor“, sagte der alte Briest, „was wird aus der Geschichte? Sie kennen sie ja von klein auf, haben sie geholt. Mir gefällt das alles nicht; sie nimmt sichtlich ab, und die roten Flecke und der Glanz in den Augen, wenn sie mich mit einem Male so fragend ansieht. Was meinen Sie? Was wird? Muß sie sterben?“

Wiesike wiegte den Kopf langsam hin und her. „Das will ich nicht sagen, Herr von Briest Daß sie so fiebert, gefällt mir nicht. Aber wir werden es schon wieder runter kriegen, dann muß sie nach der Schweiz oder nach Mentone. Reine Luft und freundlich­e Eindrücke, die das Alte vergessen machen.“„Lethe, Lethe.“„Ja, Lethe“, lächelte Wiesike. „Schade, daß uns die alten Schweden, die Griechen, bloß das Wort hinterlass­en haben und nicht zugleich auch die Quelle selbst.“

„Oder wenigstens das Rezept dazu; Wässer werden ja jetzt nachgemach­t. Alle Wetter, Wiesike, das wär ein Geschäft, wenn wir hier so ein Sanatorium anlegen könnten: Friesack als Vergessenh­eitsquelle. Nun, vorläufig wollen wir’s mit der Riviera versuchen. Mentone ist ja wohl Riviera?

Die Kornpreise sind zwar in diesem Augenblick­e wieder schlecht, aber was sein muß, muß sein.

Ich werde mit meiner Frau darüber sprechen.“Das tat er denn auch und fand sofort seiner Frau Zustimmung, deren in letzter Zeit – wohl unter dem Eindruck zurückgezo­genen Lebens – stark erwachte Lust, auch mal den Süden zu sehen, seinem Vorschlage zu Hilfe kam. Aber Effi selbst wollte nichts davon wissen. „Wie gut ihr gegen mich seid. Und ich bin egoistisch genug, ich würde das Opfer auch annehmen, wenn ich mir etwas davon verspräche. Mir steht es aber fest, daß es mir bloß schaden würde.“

„Das redest du dir ein, Effi.“

„Nein. Ich bin so reizbar geworden; alles ärgert mich. Nicht hier bei euch.

Ihr verwöhnt mich und räumt mir alles aus dem Wege. Aber auf einer Reise, da geht das nicht, da läßt sich das Unangenehm­e nicht so beiseite tun; mit dem Schaffner fängt es an, und mit dem Kellner hört es auf. Wenn ich mir die süffisante­n Gesichter bloß vorstelle, so wird mir schon ganz heiß. Nein, nein, laßt mich hier. Ich mag nicht mehr weg von Hohen-Cremmen, hier ist meine Stelle. Der Heliotrop unten auf dem Rondell, um die Sonnenuhr herum, ist mir lieber als Mentone.“

Nach diesem Gespräch ließ man den Plan wieder fallen, und Wiesike, soviel er sich von Italien versproche­n hatte, sagte: „Das müssen wir respektier­en, denn das sind keine Launen; solche Kranken haben ein sehr feines Gefühl und wissen mit merkwürdig­er Sicherheit, was ihnen hilft und was nicht. Und was Frau Effi da gesagt hat von Schaffner und Kellner, das ist doch auch eigentlich ganz richtig, und es gibt keine Luft, die so viel Heilkraft hätte, den Hotelärger (wenn man sich überhaupt darüber ärgert) zu balanciere­n. Also lassen wir sie hier; wenn es nicht das beste ist, so ist es gewiß nicht das schlechtes­te.“

Das bestätigte sich denn auch. Effi erholte sich, nahm um ein geringes wieder zu (der alte Briest gehörte zu den Wiegefanat­ikern) und verlor ein gut Teil ihrer Reizbarkei­t. Dabei war aber ihr Luftbedürf­nis in einem beständige­n Wachsen, und zumal wenn Westwind ging und graues Gewölk am Himmel zog, verbrachte sie viele Stunden im Freien.

»87. Fortsetzun­g folgt

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