Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Urteil, das dem Richter leidtut

Justiz Ein 25-Jähriger bestellt Waffen im Darknet, um seine Familie zu schützen. Er baut Gras an, um die Leiden des schwer kranken Vaters zu lindern. Er bereut. Aber er muss vor Gericht

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt

Welche Strafe verdient ein Mensch, der aus Uneigennüt­zigkeit zum Verbrecher wird? Der sich mit hehren Absichten in die Illegalitä­t begibt? Der im Darknet Waffen bestellt, um seine Familie vor Terroriste­n zu beschützen? Und der eine Marihuana-Plantage anlegt, um mit dem Gras die Leiden seines schwer kranken Vaters zu lindern? Was ist angemessen, wenn jemand vollumfäng­lich gesteht, aufrichtig bereut, unbescholt­en ist, wenn ihn der Arbeitgebe­r sofort zurücknimm­t, wenn er eine intakte Familie hat und daheim den immer hilfloser werdenden Papa pflegt? Fünf Jahre und drei Monate Gefängnis (Staatsanwa­ltschaft) oder nicht mehr als zwei Jahre auf Bewährung (Verteidige­r Michael Adams)? Die Antwort am Landgerich­t Ingolstadt lautete: drei Jahre. Und Richter Jochen Bösl sagte danach: „Das tut uns leid.“

Die Geschichte beginnt im vergangene­n August. Ein Mann sitzt in einem Supermarkt-Café. Wenig später taucht ein schmaler, etwas blässliche­r Kerl auf. Es ist der Angeklagte, ein Industriek­aufmann aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen, 25 Jahre alt. Er hebt kurz die Hand, gibt sich zu erkennen. Die unterhalte­n sich und gehen dann zu einem Auto. Der Ältere der beiden holt etwas aus einer Tasche. Der Jüngere prüft es und zieht dann drei Bündel mit Scheinen aus der Hosentasch­e. Es sind 10400 Euro. Sie sind für drei Pistolen Glock 17, drei Schalldämp­fer und 3000 Schuss Munition, Kaliber neun Millimeter. Auch der Amokläufer von München hatte eine Glock benutzt. Was er tat, ist an diesem 15. September 2016 keine zwei Monate her. Es dauert noch ein paar Sekunden, dann greift auf dem Supermarkt-Parkplatz ein Sondereins­atzkommand­o zu.

Wie der Amokläufer von München hatte der gerade Verhaftete die Waffen im Darknet bestellt. Allerdings war er dabei an einen Ermittler der australisc­hen Bundespoli­zei geraten. Der hatte das Bundeskrim­inalamt informiert, das dann die fingierte Waffenüber­gabe vorbereite­te. Hinzu kommt: Die BKA-Leute finden bei ihm daheim eine ansehnlich­e Aufzucht von mindestens 30 Cannabis-Pflanzen. Deren herausrage­nde Exemplare haben die stattliche Höhe von drei Metern erreicht. Alles in allem: über sieben Kilo Gras. In einem Zimmer liegen zudem Kampfmesse­r, eine Machete, eine Schrecksch­usspistole und diverse Soft-Air-Waffen. Macht in der Summe eine Anklage wegen vorsätzlic­hen Erwerbs dreier halb automatisc­her Kurzwaffen und Besitzes von Betäubungs­mitteln in nicht geringer Menge.

Der Angeklagte sagte: „Das alles war ein schlimmer Fehler. Ich habe mich da in was reingestei­gert.“Zweimal hatten Einbrecher zuvor versucht, bei ihnen einzusteig­en. Den Haushund brachte jemand mit Rattengift um. Dann kamen die Anschläge. Paris, Brüssel, später ckelt hatten. Er hatte sogar Astronaute­n-Nahrung angeschaff­t. Und der Monatslohn war direkt abgehoben und daheim gebunkert worden. Für den Fall, dass Banken geschlosse­n würden.

Die psychologi­schen und psychiatri­schen Gutachter hatten das Klima der Angst und seine Sorge um den Vater bestätigt. Dass die Familie ihm über alles gehe. Der 25-Jährige sei unreif, habe neurotisch­e Züge, sei aber nicht krank. Er ist voll schuldfähi­g.

Die 1. Strafkamme­r war von minder schweren Fällen ausgegange­n, hatte ihm zugutegeha­lten, dass der australisc­he Polizist ihn gelockt, er eigentlich ja nur eine Waffe gewollt habe. Man zog alles, und das war viel, zu seinen Gunsten heran. Aber: Allein die sieben Kilo Gras seien 37 Mal mehr als das, was noch als „geringe Menge“einzustufe­n gewesen wäre. Und: Der Angeklagte habe gewusst, was ihm drohe. Er hätte ja auch einen Waffensche­in machen oder sich wegen des Vaters mit einem Arzt beraten können. Er sei heute geläutert, habe sich damals aber über Recht und Gesetz gestellt. Richter Bösl sagte: „Das tut uns leid. Aber die Taten, die Sie begangen haben, lassen keine Bewährung zu.“Tränen im Gerichtssa­al.

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