Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Urteil, das dem Richter leidtut
Justiz Ein 25-Jähriger bestellt Waffen im Darknet, um seine Familie zu schützen. Er baut Gras an, um die Leiden des schwer kranken Vaters zu lindern. Er bereut. Aber er muss vor Gericht
Ingolstadt
Welche Strafe verdient ein Mensch, der aus Uneigennützigkeit zum Verbrecher wird? Der sich mit hehren Absichten in die Illegalität begibt? Der im Darknet Waffen bestellt, um seine Familie vor Terroristen zu beschützen? Und der eine Marihuana-Plantage anlegt, um mit dem Gras die Leiden seines schwer kranken Vaters zu lindern? Was ist angemessen, wenn jemand vollumfänglich gesteht, aufrichtig bereut, unbescholten ist, wenn ihn der Arbeitgeber sofort zurücknimmt, wenn er eine intakte Familie hat und daheim den immer hilfloser werdenden Papa pflegt? Fünf Jahre und drei Monate Gefängnis (Staatsanwaltschaft) oder nicht mehr als zwei Jahre auf Bewährung (Verteidiger Michael Adams)? Die Antwort am Landgericht Ingolstadt lautete: drei Jahre. Und Richter Jochen Bösl sagte danach: „Das tut uns leid.“
Die Geschichte beginnt im vergangenen August. Ein Mann sitzt in einem Supermarkt-Café. Wenig später taucht ein schmaler, etwas blässlicher Kerl auf. Es ist der Angeklagte, ein Industriekaufmann aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, 25 Jahre alt. Er hebt kurz die Hand, gibt sich zu erkennen. Die unterhalten sich und gehen dann zu einem Auto. Der Ältere der beiden holt etwas aus einer Tasche. Der Jüngere prüft es und zieht dann drei Bündel mit Scheinen aus der Hosentasche. Es sind 10400 Euro. Sie sind für drei Pistolen Glock 17, drei Schalldämpfer und 3000 Schuss Munition, Kaliber neun Millimeter. Auch der Amokläufer von München hatte eine Glock benutzt. Was er tat, ist an diesem 15. September 2016 keine zwei Monate her. Es dauert noch ein paar Sekunden, dann greift auf dem Supermarkt-Parkplatz ein Sondereinsatzkommando zu.
Wie der Amokläufer von München hatte der gerade Verhaftete die Waffen im Darknet bestellt. Allerdings war er dabei an einen Ermittler der australischen Bundespolizei geraten. Der hatte das Bundeskriminalamt informiert, das dann die fingierte Waffenübergabe vorbereitete. Hinzu kommt: Die BKA-Leute finden bei ihm daheim eine ansehnliche Aufzucht von mindestens 30 Cannabis-Pflanzen. Deren herausragende Exemplare haben die stattliche Höhe von drei Metern erreicht. Alles in allem: über sieben Kilo Gras. In einem Zimmer liegen zudem Kampfmesser, eine Machete, eine Schreckschusspistole und diverse Soft-Air-Waffen. Macht in der Summe eine Anklage wegen vorsätzlichen Erwerbs dreier halb automatischer Kurzwaffen und Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
Der Angeklagte sagte: „Das alles war ein schlimmer Fehler. Ich habe mich da in was reingesteigert.“Zweimal hatten Einbrecher zuvor versucht, bei ihnen einzusteigen. Den Haushund brachte jemand mit Rattengift um. Dann kamen die Anschläge. Paris, Brüssel, später ckelt hatten. Er hatte sogar Astronauten-Nahrung angeschafft. Und der Monatslohn war direkt abgehoben und daheim gebunkert worden. Für den Fall, dass Banken geschlossen würden.
Die psychologischen und psychiatrischen Gutachter hatten das Klima der Angst und seine Sorge um den Vater bestätigt. Dass die Familie ihm über alles gehe. Der 25-Jährige sei unreif, habe neurotische Züge, sei aber nicht krank. Er ist voll schuldfähig.
Die 1. Strafkammer war von minder schweren Fällen ausgegangen, hatte ihm zugutegehalten, dass der australische Polizist ihn gelockt, er eigentlich ja nur eine Waffe gewollt habe. Man zog alles, und das war viel, zu seinen Gunsten heran. Aber: Allein die sieben Kilo Gras seien 37 Mal mehr als das, was noch als „geringe Menge“einzustufen gewesen wäre. Und: Der Angeklagte habe gewusst, was ihm drohe. Er hätte ja auch einen Waffenschein machen oder sich wegen des Vaters mit einem Arzt beraten können. Er sei heute geläutert, habe sich damals aber über Recht und Gesetz gestellt. Richter Bösl sagte: „Das tut uns leid. Aber die Taten, die Sie begangen haben, lassen keine Bewährung zu.“Tränen im Gerichtssaal.