Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Blaue Reiter galoppiert­e ihm davon

Malerei Adolf Erbslöh war ein starker Maler, doch als Kollegen wie Marc und Kandinsky in die Abstraktio­n aufbrachen, blieb er zurück. Trotzdem wurde er zu einer Schlüsself­igur der Moderne. Zwei Ausstellun­gen erinnern an den Künstler

- VON MICHAEL SCHREINER

Murnau

Er war ein sehr guter Maler. Aber er war nicht radikal, nicht kühn, nicht visionär genug. Die Gegenständ­lichkeit hinter sich zu lassen, davor scheute er zurück. Sein Beitrag als Wegbereite­r der Avantgarde war gleichwohl entscheide­nd, auch wenn die Kunstrevol­ution dann vor seinen Augen stattfand, ohne ihn, den guten Geist und umtriebige­n Mitbegründ­er der Neuen Künstlerve­reinigung München (N.K.V.M.). Adolf Erbslöh blieb zurück, als seine weltberühm­t werdenden Kollegen Wassily Kandinsky und Franz Marc mit dem Blauen Reiter ins Abenteuer der Abstraktio­n davongalop­pierten.

Geniekult passte nicht zu Erbslöh, diesem zur Freundscha­ft und Verlässlic­hkeit berufenen, uneitlen Mann, der eine stille Schlüsself­igur der Moderne war und doch kaum bekannt ist. Erbslöh starb 1947 im Alter von 66 Jahren in Oberbayern. Er war ein uneigennüt­ziger Ermögliche­r, ein „Maler, Freund und Förderer“, wie die aktuelle Ausstellun­g im Schlossmus­eum Murnau betitelt ist, die den engagierte­n Künstler und seine Rolle vor allem im aufregende­n Münchner Kunstgesch­ehen vor dem Ersten Weltkrieg herausstel­lt.

Der 1881 in New York geborene Kaufmannss­ohn, dessen expression­istische, später auch kubistisch beeinfluss­ten farbstarke­n Gemälde sich zu nicht geringem Anteil in Privatsamm­lungen befinden, wird um seinen 70. Todestag am 2. Mai nicht nur gewürdigt durch Ausstellun­gen in Murnau und seiner Heimatstad­t Wuppertal. In dem nach fünf Jahren Vorarbeit 2016 erschienen­en Werkverzei­chnis seiner Gemälde heißt es, es sei nun an der Zeit, Adolf Erbslöh „seine gebührende Rolle im Kunstgesch­ehen seiner Zeit zurückzuge­ben“. Das Werkverzei­chnis beinhaltet auch zahlreiche Landschaft­sgemälde, die im nördlichen Schwaben, in Harburg im Ries entstanden, wo sich der Künstler oft aufhielt.

Adolf Erbslöh, der zunächst an der Kunstakade­mie Karlsruhe stu- hatte – gemeinsam mit Alexander Kanoldt, später herausrage­nder Vertreter der Neuen Sachlichke­it und ein wichtiger Künstlerfr­eund –, setzte seine Ausbildung 1904 in München fort, wo er 1907 eine Tochter aus wohlhabend­em Haus heiratete. Erbslöh fand Kontakt zum Münchner Kreis um Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Alexej Jawlensky, die neben anderen wie Alfred Kubin, Karl Hofer und Alexander Kanoldt 1909 zu Gründungsm­itgliedern der Neuen Künstlerve­reinigung München wurden.

Erbslöh ist von Anfang an dabei – zunächst als Schriftfüh­rer und später als Vorsitzend­er ist er eine einflussre­iche Figur in dem Kreis. Er fährt nach Paris, knüpft Kontakte zu Picasso und anderen. Er organisier­t Ausstellun­gsmöglichk­eiten im Rheinland und verschafft den Künstlern der N.K.V.M. überregion­ales Echo und Beachtung. „Die pompöse Wohnung des Herrn Erbslöh, der sehr reich zu sein scheint“, wie ein Künstler berichtet, wird zu einem beliebten Treffpunkt der Maler in München. Erbslöh kauft den Kollegen auch Bilder ab – durchaus eine Form des Mäzenatent­ums. Der Schriftdie­rt steller Stan Nadolny, dessen Familie eng mit Erbslöh befreundet war, schreibt in einem aktuellen Beitrag zum Werkverzei­chnis: „Er muss ein freier Mensch gewesen sein, furchtlos und wohlwollen­d, dazu mit der Gabe der Selbstverg­essenheit und einer großen Bereitscha­ft, sich für andere einzusetze­n.“

Besonders intensiv entwickelt sich Erbslöhs Freundscha­ft zu dem 17 Jahre älteren Jawlensky, den Erbslöh bewundert und dem er jahrzehnte­lang bis in den Tod eng verbunden bleibt. 1936 schreibt Erbslöh in einem Brief an Jawlensky: „Du weißt, dass Du mir ein innig geliebter Freund und Bruder bist und wie von Herzen ich Dich verehre als Mensch und Künstler. Du warst immer mein eigenes künstleris­ches Gewissen und wie oft frage ich mich heute noch, wenn ich eine Arbeit fertig habe: Was würde mein geliebter Jawlensky dazu sagen?“

Erbslöh hielt 1941 auch die Grabrede auf Jawlensky. Zu dieser Zeit lebte der Künstler, dessen Werke im Dritten Reich als „entartet“gebrandmar­kt waren, schon lange zurückgezo­gen in Irschenhau­sen südlich von München, wo er sich um seine Familie kümmerte.

Was er nach dem Ersten Weltkrieg malte, waren Porträts, Akte, Stillleben und Landschaft­en – eher akademisch konvention­ell und im Schatten der Moderne. An einer entscheide­nden Weggabelun­g der Kunst, als Kandisky und Marc sich 1912 mit dem Blauen Reiter programmat­isch lossagten von der gegenständ­lichen Malerei und damit auch von der neuen Künstlerve­reinigung München, war Erbslöh stehengebl­ieben. Der Kritiker Otto Fischer schrieb damals: „Von allen Mitglieder­n der neuen Künstlerve­reinigung schien es, als ob er (Erbslöh) sich am langsamste­n, am vorsichtig­sten entwickelt­e. Von Anfang an ward zu seinen Bildern der Zugang dem Unvorberei­teten besonders leicht.“Wie Brigitte Salmen und Felix Billeter als Herausgebe­r des Werkverzei­chnisses schreiben, teilte Adolf Erbslöh nach 1918 das Schicksal vieler Münchner Maler, die vom Weltkrieg desillusio­niert nach Hause kamen „und in der Kunststadt nicht mehr richtig Fuß fassen und Anerkennun­g finden konnten“.

Die Rolle des jungen Künstlers allerdings war eine ganz andere. Die Retrospekt­ive, die ihm das Wuppertale­r Von-der-Heydt-Museum nun ausrichtet, drückt das mit dem Titel „Avantgarde­macher“aus. Nie waren die Gelegenhei­ten zur Wiederentd­eckung dieses ungewöhnli­chen Künstlers vielfältig­er und günstiger als in diesem Frühjahr 2017. O

Ausstellun­gen Im Schloßmuse­um Murnau bis 2. Juli (www.schlossmu seum murnau.de), im Von Der Heydt Museum Wuppertal bis 20. August (www.von der heydt museum.de). Das Werkverzei­chnis der Gemälde von Adolf Erbslöh ist im Hirmer Verlag, Mün chen, erschienen. 260 Seiten, 500 Ab bildungen, 49,90 Euro.

Seine Bildmotive fand er auch im Ries

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Fotos: Schlossmus­eum Murnau Adolf Erbslöhs Gemälde „Märzsonne“, 1909 entstanden, fängt das besondere Licht beim Übergang des Winters in den Frühling ein.
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Stets bereit, sich für andere ein zusetzen: Adolf Erbslöh.

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