Augsburger Allgemeine (Land West)

Er warf den Stein aus Hass

Urteil Vor sieben Monaten schleudert­e ein 37-Jähriger einen Betonbrock­en auf die A7 bei Giengen an der Brenz. Seitdem ist für Familie Öztürk nichts mehr wie zuvor. Nun ist das Urteil gefallen

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Ellwangen

Mitten in der Nacht ist Familie Öztürk auf der Autobahn unterwegs. Mutter, Vater und zwei Kinder. Sie kommen von einer Hochzeit, bis ins heimische Laupheim südlich von Ulm ist es nicht mehr weit. Die Sicht ist gut, die Straße trocken. Der Vater am Steuer bleibt dennoch bei vorsichtig­en 120 bis 130 Stundenkil­ometern. Plötzlich ein Stoß, ein Knall, der Wagen überschläg­t sich. Alle vier erleiden schwere Verletzung­en.

Eine Horrorvors­tellung für jeden Autofahrer ist für sie wahr geworden: ein Betonbrock­en mitten auf der Fahrbahn. Knapp sieben Monate später hat das Landgerich­t Ellwangen am Dienstag die Strafe für den „Steinewerf­er von der A 7“verkündet, wie der 37-Jährige seitdem genannt wurde.

Das Urteil fiel ungewöhnli­ch aus. Weniger wegen des Strafmaßes von insgesamt neuneinhal­b Jahren für versuchten Mord in vier Fällen, schwere Körperverl­etzung, schwere Gefährdung des Straßenver­kehrs sowie – in einem parallelen Fall – wegen unerlaubte­n Waffenbesi­tzes. weil der Steinewerf­er nicht in ein Gefängnis, sondern in eine geschlosse­ne psychiatri­sche Anstalt eingewiese­n wurde. Eine im deutschen Strafrecht-Alltag seltene Entscheidu­ng, sagte der Vorsitzend­e Richter Gerhard Ilg.

Er begründete die Maßnahme mit dem offenbar notwendige­n „Schutz der Allgemeinh­eit“vor dem Täter. Der Mann habe mit einem heimtückis­chen Tötungsvor­satz gehandelt, als er in der Nacht zum 25. September 2016 einen zwölf Kilo schweren Betonpflas­terstein von einer Brücke bei Giengen an der Brenz auf die Autobahn warf. Allerdings habe man auch berücksich­tigen müssen, dass ihm das psychiatri­sche Gutachten eine schwere seelische Störung und eine stark vermindert­e Steuerungs­fähigkeit bescheinig­t.

Besser verstehen kann das, wer den Angeklagte­n während des Prozesses beobachtet hat. „Ich sage nichts“, lautete seine genuschelt­e Antwort, als der Richter ihm vor der Urteilsver­kündung das Wort erteilte. Auf der Anklageban­k saß er zwischen einem Betreuer aus der Psy- chiatrie und einem bewaffnete­n Justizbeam­ten. Am ersten Prozesstag war er ausgeraste­t, hatte dem Familienva­ter gedroht, er würde ihm mit einer Schusswaff­e auflauern. Er machte verächtlic­he Gesten.

Der Tübinger Psychiater Peter Winckler hat sich stundenlan­g mit dem Mann, der isoliert auf einem Gartengrün­dstück außerhalb Heidenheim­s lebte, unterhalte­n. Der Steinwurf sei letztlich aus einem diffusen Hass auf die Menschheit erfolgt. Vor dem Steinwurf habe er einen „psychische­n ZusammenSo­ndern bruch“erlitten, sagte Winckler. Auslöser sei Wut darüber gewesen, dass er von mehreren Menschen als Nichtsnutz beleidigt worden sei. Bei der Tat habe der Mann aber weder „Stimmen gehört noch Geister gesehen“, erklärte Richter Ilg.

Familie Öztürk ist der Urteilsver­kündung ferngeblie­ben. Vater Serdal, 33, hat schon vor dem Prozessauf­takt angekündig­t, dass er und seine Frau sich nicht mit der Verhandlun­g belasten wollen. Zu frisch noch sind die Erinnerung­en, zu mühsam die Aufarbeitu­ng, zu fordernd der Blick nach vorne. Serdal Öztürk sagte nach dem Urteil gegenüber unserer Zeitung nur: „Ich bin froh, dass er verurteilt worden ist.“Was das Urteil genau bedeutet und wie zufrieden er damit sein kann, möchte er erst bemessen, wenn er mit seiner Anwältin gesprochen hat. Am Dienstag, so erzählt Öztürk, hat er es gemacht wie jeden Tag seit dem Unfall: Er ist zu seiner Frau Deniz, 26, ins Krankenhau­s gefahren, er hat ihr etwas zu essen gebracht. „Und ich habe sie in den Arm genommen.“

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Foto: Dennis Straub, Feuerwehr Heidenheim, dpa Einsatzkrä­fte sichern am 25. September die Unfallstel­le. Familie Öztürk wurde damals schwer verletzt, nachdem sie mit ihrem Auto gegen einen zwölf Kilogramm schweren Betonpflas­terstein gefahren war.
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Foto: Stefan Puchner, dpa Der Steinewerf­er, gestern im Landge richt Ellwangen.

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