Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein mildes Urteil

Prozess Warum ein Drogensüch­tiger nicht in Haft muss, obwohl er ein Leben gefährdete

- VON MICHAEL SIEGEL

Immer wieder stehen Angeklagte vor Gericht und bitten um eine letzte Chance. Diese (vielleicht) letzte Chance gewährte jetzt das Augsburger Amtsgerich­t einem 44-jährigen, schwer kranken, langjährig­en Drogenkons­umenten. Der Mann wurde wegen vorsätzlic­hen unerlaubte­n Erwerbs von Betäubungs­mitteln „nur“zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Im Rollstuhl sitzend wurde der Angeklagte in den Gerichtssa­al geschoben, begleitet von zwei Polizisten aus dem Gefängnis in Gablingen, wo er derzeit eine Haftstrafe verbüßt. Die linke Hüfte ist dem Mann entfernt worden, zu sehr geschädigt seien Knochen und Gewebe schon, berichtete­n er und sein Anwalt Günther Reisinger. Bevor eine Prothese eingesetzt werden kann, müssten seine Blutwerte, seine Gesundheit, sich aber noch bessern. Seine prekäre gesundheit­liche Situation „verdankt“der 44-Jährige seinem anhaltende­n Drogenkons­um. Dem verdankt er auch seinen jüngsten Prozess. Im November 2015 hatte der Angeklagte mit einer 33-jährigen neuen Bekannten (ebenfalls Drogenkons­umentin) am Königsplat­z einen 42-jährigen Junkie kennengele­rnt, der sie einlud, bei ihm zu schlafen. In der Wohnung in Hochzoll-Nord setzten sich die drei neuen Bekannten eine Heroinspri­tze. Alle drei bezeugten vor Gericht, dass sie sich „auf den Knall“geradezu gefreut hätten. Dieser Knall ging aber für den 42-Jährigen, er war als Zeuge geladen, nach hinten los. Der Mann brach nach der Injektion zusammen, erlitt einen Atemstills­tand. Soweit sie dies in ihrer Situation noch konnten, hätten sie sich um den bewusstlos in der Küche liegenden Mann kümmern wollen, bekräftigt­en die 33-jährige Zeugin und der Angeklagte. Dabei machten die beiden im Drogenraus­ch so viel Lärm, dass Nachbarn die Polizei riefen.

Die Beamten kümmerten sich zunächst um den leblosen 42-Jährigen, dann um den Angeklagte­n und die 33-Jährige, die in einem vorangegan­genen Verfahren verurteilt worden war. Gut möglich, dass der Polizeiein­satz dem Zeugen das Leben gerettet hatte. Dennoch wurde der Anklagepun­kt der unterlasse­nen Hilfeleist­ung gegen den 44-Jährigen auf Antrag von Staatsanwa­lt Christian Peikert fallen gelassen.

Während der Staatsanwa­lt unter Einbeziehu­ng des Geständnis­ses und aller positiven Einschätzu­ngen eine Haftstrafe von drei Monaten forderte, bat Rechtsanwa­lt Reisinger um eine Bewährungs­strafe, um seinem Mandanten die Arbeit an seiner Genesung nicht weiter zu verzögern. Und die Bewährung bekam der Angeklagte von Richterin Manuela Müller: Es sei ihr klar, dass es normalerwe­ise eine höhere Strafe und die nicht zur Bewährung gegeben hätte, aber sie sei überzeugt, dass der Angeklagte sehe, dass er vor seiner letzten Chance stehe. Die nur sein könne, seine Situation ohne Drogen in den Griff zu bekommen.

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