Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein mildes Urteil
Prozess Warum ein Drogensüchtiger nicht in Haft muss, obwohl er ein Leben gefährdete
Immer wieder stehen Angeklagte vor Gericht und bitten um eine letzte Chance. Diese (vielleicht) letzte Chance gewährte jetzt das Augsburger Amtsgericht einem 44-jährigen, schwer kranken, langjährigen Drogenkonsumenten. Der Mann wurde wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln „nur“zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Im Rollstuhl sitzend wurde der Angeklagte in den Gerichtssaal geschoben, begleitet von zwei Polizisten aus dem Gefängnis in Gablingen, wo er derzeit eine Haftstrafe verbüßt. Die linke Hüfte ist dem Mann entfernt worden, zu sehr geschädigt seien Knochen und Gewebe schon, berichteten er und sein Anwalt Günther Reisinger. Bevor eine Prothese eingesetzt werden kann, müssten seine Blutwerte, seine Gesundheit, sich aber noch bessern. Seine prekäre gesundheitliche Situation „verdankt“der 44-Jährige seinem anhaltenden Drogenkonsum. Dem verdankt er auch seinen jüngsten Prozess. Im November 2015 hatte der Angeklagte mit einer 33-jährigen neuen Bekannten (ebenfalls Drogenkonsumentin) am Königsplatz einen 42-jährigen Junkie kennengelernt, der sie einlud, bei ihm zu schlafen. In der Wohnung in Hochzoll-Nord setzten sich die drei neuen Bekannten eine Heroinspritze. Alle drei bezeugten vor Gericht, dass sie sich „auf den Knall“geradezu gefreut hätten. Dieser Knall ging aber für den 42-Jährigen, er war als Zeuge geladen, nach hinten los. Der Mann brach nach der Injektion zusammen, erlitt einen Atemstillstand. Soweit sie dies in ihrer Situation noch konnten, hätten sie sich um den bewusstlos in der Küche liegenden Mann kümmern wollen, bekräftigten die 33-jährige Zeugin und der Angeklagte. Dabei machten die beiden im Drogenrausch so viel Lärm, dass Nachbarn die Polizei riefen.
Die Beamten kümmerten sich zunächst um den leblosen 42-Jährigen, dann um den Angeklagten und die 33-Jährige, die in einem vorangegangenen Verfahren verurteilt worden war. Gut möglich, dass der Polizeieinsatz dem Zeugen das Leben gerettet hatte. Dennoch wurde der Anklagepunkt der unterlassenen Hilfeleistung gegen den 44-Jährigen auf Antrag von Staatsanwalt Christian Peikert fallen gelassen.
Während der Staatsanwalt unter Einbeziehung des Geständnisses und aller positiven Einschätzungen eine Haftstrafe von drei Monaten forderte, bat Rechtsanwalt Reisinger um eine Bewährungsstrafe, um seinem Mandanten die Arbeit an seiner Genesung nicht weiter zu verzögern. Und die Bewährung bekam der Angeklagte von Richterin Manuela Müller: Es sei ihr klar, dass es normalerweise eine höhere Strafe und die nicht zur Bewährung gegeben hätte, aber sie sei überzeugt, dass der Angeklagte sehe, dass er vor seiner letzten Chance stehe. Die nur sein könne, seine Situation ohne Drogen in den Griff zu bekommen.