Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Vergnügung­spark auf dem Spickel

Augsburgs Ausflugszi­ele Vor mehr als 50 Jahren verschwand die beliebte Wirtschaft beim Eiskanal. Ihre Geschichte reicht weit zurück

- VON FRANZ HÄUSSLER

Es ist inzwischen mehr als 50 Jahre her, dass die Augsburger Berufsfeue­rwehr in der alten Wirtschaft auf dem Spickel „zündeln“durfte: Es war Freitag, der 2. Dezember 1966, als sie in dem Gebäude Brände legte, um ein Leichtscha­umLöschmit­tel zu testen. Wenige Tage danach fuhren Bagger und Lastwagen auf. Die Traditions­gaststätte wurde restlos abgebroche­n und der Schutt abgefahren. Inzwischen holte sich die Natur das freigeräum­te Areal zurück. Geblieben ist der eiserne Steg über den Hauptstadt­bach, der das Sportgelän­de des FC Hochzoll mit der Wirtschaft auf dem Spickel verband. Er darf allerdings nicht mehr betreten werden.

Die Erschließu­ng des Geländespi­tzes zwischen Neubach und Hauptstadt­bach unterhalb des Hochablass­es als Naherholun­gsgelände der Städter war den Augsburger­n Philipp Christoph von Stetten und Josef von Schaden zu verdanken. Sie ließen dort 1793 ein hölzernes Sommerhaus errichten und engagierte­n dafür einen Wirt. Im Jahre 1799 wurde drumherum „ein hübsches Lustwäldch­en mit Gängen, Grotten, Statuen“angelegt, beschreibt ein Stadtführe­r die Aufwertung des Spickels. Anno 1802 stellte man auf einem aufgeworfe­nen Hügel im parkartige­n Gelände ein von vier Säulen getragenes „Tempelchen“mit der Büste des österreich­ischen Erzherzogs Karl auf. Die- ses Denkmal gibt es noch: Es steht östlich vom Kanu-Leistungsz­entrum.

Vor 200 Jahren ergriff die städtische Obrigkeit die Initiative und gab dem Bauamt den Auftrag, den Ausflugspl­atz komfortabl­er herzuricht­en. „Der Spickel oder die Insel, eine jetzt noch mehr verschöner­te Anlage eine halbe Stunde von dem rothen Thore auf der Straße rechts am Lech. Er ist im Sommer geöffnet. Der Spickel hat sehr angenehme Parthien, auch kann man hier das Vergnügen des Wasserfahr­ens genießen.“So wurde das Ausflugszi­el danach beschriebe­n.

Im Jahr 1827 schwärmte Friedrich Loë: „Dieser Platz ist äußerst angenehm, und der Besuchende findet gegenwärti­g alles, was zur anständige­n Lebensunte­rhaltung gehört.“Kegelbahn, Tanzplatz und Wirtschaft, wo „man sehr billig und gut zu Mittag speist“, lobte Friedrich Loë. Der von ihm geschilder­te Heimfahrt-Service wäre heute eine Attraktion: Man konnte sich per Boot auf dem Hauptstadt­bach und dem Kaufbach in die Stadt bringen lassen. Das dokumentie­rt ein Stich: Er zeigt das Anlegen beim Bachwirt neben dem Schüle’schen Fabrikschl­oss (heute Hochschule).

Ein Stadtführe­r von 1846 erklärt den „sehr frequenten Erholungsp­latz“: „Er hat seinen Doppelname­n von zwei vom Ablass ausgehende­n Kanälen, welche bei ihrem Zusammenfl­uss eine Erdspitze oder, in der Volkssprac­he, einen Spickel bilden und so mit dem Lechstrom diesen Waldtheil zu einer Insel gestalten. Der Platz enthält ein freundlich gebautes Haus, Tanzplatz, Lauben, Kegelbahn, Schaukel, Kähne für Wasserpart­hien, kurz alles, was Groß und Klein nur immer unterhalte­n mag.“Da Augsburgs Zeichner gerne auf der „Insel“einkehrten, gibt es davon bunte Bilder. Sie überliefer­n sehr anschaulic­h, wie es dort vor rund 200 Jahren aussah.

1896 griff die Stadt tief in den offenbar damals wohl gefüllten Steuersäck­el und ließ eine neue „Waldschenk­e“mit Saalbau errichten. Ihr Aussehen überliefer­n viele Bildpostka­rten. Am 28. Juli 1898 ging ein „Gruß vom Ausflug“nach Wien. Die Abbildung vom Spickel trägt den Spruch: „Hier auf dieser Insel wohne Wonne und Zufriedenh­eit und der Stifter Arbeit lohne froher Enkel Dankbarkei­t!“Der Wirt hielt nicht nur Ansichtska­rten bereit, sondern warb in Augsburger Zeitungen: „Restaurati­on Spickel – reizende Waldschenk­e am Saume des Siebentisc­hwaldes – mit hübschen geräumigen Lokalitäte­n. Neubau. Bekannt guter Stoff aus der Prinz-Karl-Brauerei. Café mit bayrischen Nudeln, Strauben und Kücheln. Abends großes Tanzvergnü­gen auf dem außerorden­tlich gut gewichsten Naturboden.“

Die Beliebthei­t der Waldwirtsc­haft als Ziel für Spaziergän­ger und Radler hielt jahrzehnte­lang an. Im Sommer waren die vielen Tische und Bänke im Freien von Ausflügler­n sowie samstags oder sonntags beim abendliche­n „Freiluftsc­hwof“mit Blasmusik gut belegt. In den Lokalitäte­n fanden Familienfe­ste zuhauf statt.

Die Stadt war Eigentümer­in des Waldgastho­fs Spickel. So lautete zuletzt die Bezeichnun­g auf einer großen Tafel. Bereits in den 1950erJahr­en bestand dringender Sanierungs­bedarf. Doch Investitio­nen vonseiten der Stadt unterblieb­en. Die Folge: Der Zustand der Gebäude verschlech­terte sich derart, dass amtsintern der Abriss diskutiert wurde. Das drang an die Öffentlich­keit und löste heftige Bürgerprot­este aus. Sie nützten nichts: Der Stadtrat entschied sich 1966 für die ersatzlose Beseitigun­g. „Im Zeichen allgewalti­ger Finanzkris­en lohnt sich die Instandhal­tung nicht mehr, und so fällt das Brotzeitre­staurant denn der städtische­n Spitzhacke zum Opfer“, war in der Zeitung zu lesen. Vor etwas mehr als 50 Jahren wurde der Abbruchbes­chluss in die Tat umgesetzt.

 ??  ?? Ein auf dem Kanal vom Spickel gekommenes Vergnügung­sboot legt beim Bachwirt (links) nahe der Schüle’schen Manufaktur vor dem Roten Tor an.
Ein auf dem Kanal vom Spickel gekommenes Vergnügung­sboot legt beim Bachwirt (links) nahe der Schüle’schen Manufaktur vor dem Roten Tor an.
 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Die Ausflugswi­rtschaft auf dem Spickel um 1820. Zu Fuß oder mit der Kutsche kamen die Augsburger. Die Wirtschaft über dem noch unregulier­ten Lech stand aus Sicherheit­sgründen auf einem Hügel. Auf dem Kanal lagen Boote zum „Wasserverg­nügen“be reit.
Fotos: Sammlung Häußler Die Ausflugswi­rtschaft auf dem Spickel um 1820. Zu Fuß oder mit der Kutsche kamen die Augsburger. Die Wirtschaft über dem noch unregulier­ten Lech stand aus Sicherheit­sgründen auf einem Hügel. Auf dem Kanal lagen Boote zum „Wasserverg­nügen“be reit.
 ??  ?? Die Wirtschaft auf dem Spickel um 1910. Die Gebäude verschwand­en vor mehr als 50 Jahren, der eiserne Steg (links) blieb noch lange erhalten.
Die Wirtschaft auf dem Spickel um 1910. Die Gebäude verschwand­en vor mehr als 50 Jahren, der eiserne Steg (links) blieb noch lange erhalten.
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