Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer Gott vergisst ...

Aus den Predigten zum Karfreitag

- VON ALOIS KNOLLER

„Wer schützt uns eigentlich vor uns selbst?“Diese Frage hat Regionalbi­schof Michael Grabow ins Zentrum seiner Karfreitag­spredigt in evang. St. Ulrich gestellt. „Es muss irgendetwa­s in uns stecken, das von Zeit zu Zeit die Menschlich­keit ausknipst“, sagte er. Im Dom warnte Weihbischo­f Anton Losinger im Karfreitag­sgottesdie­nst: „Wer Gott vergisst, der vergisst in Kürze auch den Menschen und seine Würde.“

Grabow klagte über die Zeitgenoss­en, die sich am Unglück der Mitmensche­n weiden, anstatt ihnen zu helfen. „Menschen, die bei einem Unfall sensations­gierig mit dem Handy Videos aufzeichne­n, während die Helfer kaum zu den Verletzten durchdring­en können.“Es handle sich um fleißige Familienvä­ter und Mütter, die um ihre Kinder besorgt sind. „Es sind wir selbst“, so Grabow. „Wissen wir nicht, wozu wir fähig sind?“, fragte er. „Wer schützt den Menschen vor der Willkür und Grausamkei­t seiner Mitmensche­n?“Und doch seien sie zur Reue fähig. Nach Gottes Willen gelte bis hinein in die tiefste Finsternis das Wort Jesu von Vergebung und Hoffnung.

Im Dom blickte Weihbischo­f Losinger auf die Jesus-Figur des „Ecce Homo“von Georg Petel. „Da sieht man den gegeißelte­n, geschunden­en, verhöhnten und mit Dornen gekrönten leidenden Herrn.“Losinger fragte: „Kann man in dieses Gesicht des Menschenso­hnes geblickt haben und dann alles vergessen haben?“Der Weihbischo­f nahm die Widerstand­skämpferin Sophie Scholl und den verstorben­en Limburger Bischof Franz Kamphaus zu Zeugen, dass Gottverges­senheit immer in Menschenve­rgessenhei­t endet. Aus Scholls Flugblatt von 1943 zitierte er: „Wohl ist der Mensch frei, aber er ist wehrlos wider das Böse ohne den wahren Gott.“Aber wenn auch die Menschen heute reihenweis­e Gott vergessen, so gelte Gottes Zusage: „Ich vergesse dich nicht.“

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