Augsburger Allgemeine (Land West)
Luther in Augsburg
von der kirchlichen Aufsicht zu emanzipieren.
Der Rat ging gewissermaßen auf Zehenspitzen vor, um die Altgläubigen nicht zu reizen. Immerhin bedeutete die Gründung einer städtischen Lateinschule einen empfindlichen politischen Eingriff in die alten Stifts- und Klosterschulen beim Dom, St. Ulrich, St. Moritz, Heilig Kreuz und St. Georg. Denn sie hatten bislang das Monopol auf die Vermittlung der „sieben Künste“.
klug schickte der Rat zwei einflussreiche progressive Akteure vor, um das Projekt mit Überzeugungskraft durchzusetzen: den Prediger Bonifatius Wolfart von St. Anna und den Stadtarzt Dr. Gereon Sailer. Einen „reformationspolitischen Schachzug“nennt der Historiker Rolf Kießling das Vorgehen, das vordergründig aussah wie eine Initiative einzelner Gelehrter, um im Geiste der Zeit das humanistische Bildungsideal zu realisieren. Denn wer die Jugend im Denken formte, der konnte die Gesellschaft gestalten. Der Straßburger Bildungsreformer Johannes Sturm, an dem sich die Augsburger orientierten, formulierte als Idealziel die „sapiens atque eloquens pietas“, die weise und beredte Frömmigkeit. Neben den alten Sprachen, Mathematik und Grammatik bestand der Unterricht wesentlich aus dem Katechismus.
Eine Bildungsrepublik entstand in Augsburg freilich nicht. „In städtischen Führungsämtern, in Rat und Gericht spielte die akademische Bildung als Qualifikationsmerkmal noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber der Herkunft“, schreibt Kießling. Und die neue städtische Schulaufsicht drängTaktisch