Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Leiden des Musterschülers
Musterschüler haben es nicht leicht. Im besten Fall müssen sie mit Neid leben. Manchmal wird aus Neid Hass. Deutschland ist wirtschaftlich ein Musterschüler. Entsprechend schlägt uns von vielen Seiten Neid entgegen.
In der Eurokrise war es sogar Hass. Oder wie ist es sonst zu interpretieren, dass eine griechische Zeitung Kanzlerin Merkel mit Hakenkreuzbinde abbildet und ein anderes Blatt des Landes Finanzminister Schäuble zeigt, wie er vor einem Konzentrationslager mit einer Pistole auf einen Griechen zielt?
Aus den Geschmacklosigkeiten spricht tief sitzende Antipathie ge- genüber dem Klassenbesten. In der Schule werden Streber gemobbt. Oft sehen sie den einzigen Ausweg darin, mit schlechteren Noten um Anerkennung ihrer Peiniger zu winseln. Eine derart masochistische Strategie empfehlen sogar heimische Ökonomen Deutschland. Der Wirtschaftswissenschaftler Bofinger rät seinem Land etwa, auf spürbar höhere Löhne zu setzen, um den Außenhandelsüberschuss abzubauen. Und das soll so funktionieren: Wenn Bürger mehr Geld haben, kaufen sie mehr Waren, auch aus dem Ausland. In der utopischen Bofinger-Welt steigen so die Importe. Letztlich sinkt der Au- ßenhandelsüberschuss. Deutschland würde schwächer. Wird das Modell umgesetzt, hätte das natürlich fatale Folgen: Produktions-Jobs, die es in Deutschland noch gibt, weil die Gewerkschaften Lohnzurückhaltung geübt haben, würden wie in den 90er Jahren ins kostengünstigere Ausland verlagert. Arbeitslose kaufen sich aber nicht teuren französischen Wein oder italienische Sportwagen. Der Musterschüler wäre wie einst wieder Europas Sorgenkind. Damals forderten uns andere Staaten auf, endlich leistungsfähiger zu werden. Die Ironie der Geschichte will es, dass Deutschland heute vielen zu stark geworden ist.