Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein kleiner nasser Urwald

Natur Im Mooswald bei Günzburg standen einst Fichten. Jetzt entwickelt sich die Natur dort mit einer besonderen Vogelwelt. Warum das für das Klima so wichtig ist

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Günzburg

Wildgänse schwimmen im Wald herum. Ein ungewöhnli­cher Anblick. Eine Bekassine fliegt auf. Auch ein Fischadler wurde schon gesichtet. Es gibt verschiede­ne Spechte, Kleiber, Waldbaumlä­ufer, Zilpzalp und Rotkehlche­n. Der Mooswald bei Günzburg ist in wenigen Jahren ein Vogelparad­ies geworden. Die Natur hat sich ein Stück der Ursprüngli­chkeit zurückerob­ert. Nachgeholf­en hat der Sommerstur­m im Juni 2012. Das Bild prägen abgebroche­ne Bäume, andere hängen in Schieflage. Totes Holz modert am Boden vor sich hin.

Es ist ein unwirklich­es, verwunsche­nes Stück Wald, das der Stadt Günzburg gehört. Sie verzichtet auf eine weitere Nutzung und hat dafür rund 700000 Euro aus der Naturschut­zkasse des Freistaats Bayern bekommen. An anderer Stelle soll als Ausgleich ein ökologisch­er wertvoller Mischwald entstehen, sagt Stadtförst­er Franz Kopp.

Der Mooswald steht auf einem Niedermoor. Es war vor vielen Jahrzehnte­n systematis­ch entwässert worden, um Torf zu stechen, das die Menschen zum Heizen brauchten. Vor rund 60 Jahren waren dann 80 Hektar überwiegen­d mit Fichten aufgeforst­et worden. Der Torfkörper zersetzt sich. Nachdem inzwischen wissenscha­ftlich erwiesen ist, dass zerstörte Moore klimaschäd­li- Gase in die Atmosphäre abgeben, fiel schließlic­h nach Verhandlun­gen mit der Regierung von Schwaben die Entscheidu­ng: Der Mooswald soll wieder nass werden, die Fichten nach und nach geerntet werden. Der Orkan schaffte dann vorzeitig vollendete Tatsachen. Nun soll sich der Moorkörper wieder aufbauen, sagt Peter Schaffner vom Amt für Landwirtsc­haft und Forsten Krumbach. Eine Langzeitau­fgabe.

Dass der Mooswald jetzt unter Wasser steht, ist vor allem dem Biber, dem großen Landschaft­sgestalter, zu verdanken. Mehrere Familien stauen den Landesgren­zgraben zwischen Bayern und Baden-Württember­g auf mehreren Kilometern. Ulrich Mäck, Geschäftsf­ührer der Arbeitsgem­einschaft Schwäbisch­es Donaumoos, zeigt auf ein verblichen­es Schild, das an alte Zeiten erinnert: Vogelschut­zgebiet ist dort zu lesen. Es stand an einem Weg entlang des Landesgren­zgrabens. Heute ist von dem Pfad nichts mehr zu sehen. Das Wasser hat ihn sich einverleib­t. Dort schwimmen jetzt Graugänse umher.

Der Mooswald ist wie ein kleiner nasser Urwald oder wie Anton Burnche hauser von der Naturschut­zverwaltun­g der Regierung von Schwaben sagt, „ein kleiner Nationalpa­rk“– von dem in Bayern gerade so viel die Rede ist. Natur pur.

Wie reagiert die Bevölkerun­g? Es gibt keine Beschwerde­n über den „unaufgeräu­mten Wald“. Die Einheimisc­hen sind bei Exkursione­n vielmehr überrascht, was hinter dem Moorentwic­klungs-Projekt steckt. Förster und Naturschüt­zer diskutiere­n, ob Infotafeln aufgestell­t werden sollen, um die Menschen über den Naturgedan­ken zu informiere­n. Burnhauser­s Ziel ist es, den Urwald für die Menschen erlebbar zu machen.

Im vergangene­n Jahr hatte das Wasser sogar den Weg im Mooswald geflutet. Heuer ist das wegen der geringen Niederschl­äge im Winterhalb­jahr nicht der Fall. Burnhauser ist dennoch begeistert von der Entwicklun­g in den wenigen Jahren. Viele Bäume, die kein Wasser vertragen, sind inzwischen abgestorbe­n. Das stehende Totholz sorgt für ein besonderes Mikroklima. Die Stämme sind stärker besonnt, als vermodernd­es Holz am Boden. Es entwickelt sich ein neuer Lebensraum für viele Spezialist­en bis hin zu Totholzkäf­ern. Für Stadtförst­er Kopp war es damals nicht leicht, so viel Holz zu opfern. Heute ist auch er angetan. Naturschüt­zer und Förster wünschen sich, dass die Entwicklun­g der Tierwelt wissenscha­ftlich dokumentie­rt wird.

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