Augsburger Allgemeine (Land West)
Was ist mit der Störchin passiert?
Tiere Das Weibchen ist aus dem Dinkelscherber Nest verschwunden, ihre Eier sind abgestorben. Was ist geschehen? Eine Expertin sagt: Freiwillig hat der Vogel das Nest sicher nicht verlassen
Dinkelscherben
Das Familienglück schien perfekt: Das Storchenpärchen hatte sich auf der St.-AnnaKirche in Dinkelscherben niedergelassen, seit einer Woche wurde gebrütet. Doch am Karfreitag ist das Weibchen verschwunden. Horstbetreuer Thomas Wurschy befürchtet: „Vermutlich ist etwas Ernstes passiert.“Denn ohne Grund würde ein Storch sein Gelege nicht im Stich lassen – auch nicht das Männchen, sagt Oda Wieding, Storchenexpertin vom Landesbund für Vogelschutz (LBV): „Es muss einen massiven Eingriff gegeben haben.“Denn sobald sich die Vögel gepaart haben – und erst recht, wenn sie brüten – kehrten sie stets zum Nest zurück. Für Wieding ist klar: „Freiwillig hat sie es bestimmt nicht verlassen.“
Manchmal komme es zwar vor, dass sich ein Storch bei starkem Sturm zum Beispiel einen Flügel prellt und sich einen Tag lang schonen muss; „aber dann kommt er wieder zurück“, sagt Wieding. In Dinkelscherben allerdings ist das Weibchen seit Freitag weg. Die Eier sind ausgekühlt, es werden keine Küken mehr daraus schlüpfen. Denn der Mann allein kann sich nicht um den Nachwuchs kümmern. „Er hält es zwar eine Zeit lang ohne Fressen aus, aber dann muss er sich entscheiden: er oder die Eier“, sagt Wieding. „Meist siegt der Hunger.“Und bei der derzeitigen Kälte sterbe das Ei schon nach einer Stunde ohne Wärme ab.
Was ist also mit der Storchenfrau geschehen? Weil das Tier bisher noch nicht gefunden wurde, können die Experten dazu noch nichts Genaues sagen. Oda Wieding nennt mehrere Theorien, was passiert sein könnte. Erstens: ein Stromschlag. Es kommt immer wieder vor, dass Vögel eine Leitung übersehen oder an Strommasten verenden, obwohl diese eigentlich gesichert sein müssten. Zweitens: Gift. Immer wieder sterben Störche, weil sie vergiftete Mäuse gefressen haben. Das Gift können die Nager in der Kanalisation oder auf einer Mülldeponie auf- nehmen – oder auch in Gärten und auf Feldern, wenn sie damit gezielt bekämpft werden. Drittens: ein Fressfeind. Möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, ist, dass ein Hund die Störchin gerissen hat. Da müsste sie aber sehr unaufmerksam oder verletzt gewesen sein, betont Wieding. Thomas Wurschy nennt noch einen weiteren möglichen Grund: den extremen Gasgeruch am »Sei Tag des Verschwindens (siehe
te1 ). Ein Zusammenhang könne aber „weder bestätigt noch dementiert werden“.
Das vermisste Storchenweibchen wurde bisher noch nicht gefunden. Man könnte es leicht identifizieren, erklärt Wurschy: Es trägt am rechten Bein einen Ring mit der Kennung HES SE 294. Die Beringung erhielt sie 2008 als Jungvogel im Nest in der Schweiz.
Einen Vorteil hat es aber, dass die Frau und nicht der Mann verschwunden ist, erklärt Wieding: Das verwaiste Männchen könnte ein neues Weibchen erobern – es kommen immer noch welche aus dem Süden zurück – und eine neue Brut beginnen. Es gibt also noch Hoffnung auf Nachwuchs. Wenn dagegen eine Störchin schon Eier abgelegt hat, dann wird sie es in diesem Jahr nicht mehr tun, auch wenn sie einen neuen Partner hat.
Und wie verkraften die Störche in den anderen Nestern die Kälte? Laut Storchenkarte des LBV sind im Landkreis Augsburg alle Horste außer die in Fischach und Westendorf besetzt. Der kurzfristige Wintereinbruch gestern sei noch nicht problematisch, sagt Wieding. Schlimm würde es erst bei nächtelangem Frost werden, wenn das Nistmaterial einfriert und die Eier von unten kalt werden. In manchen Orten kann man übrigens jetzt schon beobachten, wie die Störche auf die Kälte reagieren, erklärt die Expertin: Sie wenden die Eier häufiger, damit sie gleichmäßig gewärmt werden.