Augsburger Allgemeine (Land West)

Ermittlung­en gegen 92 jährige KZ Helferin

Justiz Über 70 Jahre haben viele frühere Nazis unbehellig­t ihr bürgerlich­es Leben geführt. Das hat sich geändert

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München

Die Staatsanwa­ltschaft München I ermittelt gegen eine 92 Jahre alte Frau aus dem Chiemgau als ehemalige Helferin im Konzentrat­ionslager Stutthof. „Es geht um eine Tätigkeit im Bereich des KZs“, sagte der Sprecher der Anklagebeh­örde, Florian Weinzierl, am Mittwoch. Es gehe um den Verdacht der Beihilfe zum Mord.

Die Frau soll Nachrichte­nhelferin gewesen sein. Die gebürtige Danzigerin sei als Telefonist­in in das bei Danzig liegende KZ abkommandi­ert worden. „Das war nicht freiwillig“, zitieren Medien die Frau. Weinzierl sagte, welche Aufgabe die Frau genau hatte, müsse noch ermittelt werden. „Wir müssen erst mal schauen, was die tatsächlic­he Tätigkeit war und wie sie ausgestalt­et war“, sagte Weinzierl. Es gebe keinen Anhaltspun­kt, dass die Frau unmittelba­r an der Selektion von Gefangenen beteiligt gewesen sei. „Aber das hindert nicht die nähere Prüfung einer strafrecht­lichen Relevanz.“

Die Frau blieb auf freiem Fuß. Es gebe derzeit keinen Haftgrund. Die Ermittlung­en seien in einem sehr frühen Stadium und würden voraussich­tlich „nicht zeitnah“abgeschlos­sen. Der Justizspre­cher rechnet aber damit, dass in drei bis vier Monaten eine neue Einschätzu­ng geben. Die Juristen, die Vorarbeit für staatsanwa­ltliche NS-Ermittlung­en in ganz Deutschlan­d leisten, hatten sich nach der Verurteilu­ng des Ex-Wachmannes John Demjanjuk 2011 nochmals systematis­ch Verbrechen in KZs und Vernichtun­gslagern vorgenomme­n. Das Landgerich­t München hatte Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28000 Menschen in Sobibor verurteilt, obwohl er nicht direkt an ihrer Tötung mitgewirkt hatte. Das Urteil, das wegen Demjanjuks Tod nicht rechtskräf­tig wurde, war als neue Wende in der Rechtsprec­hung gewertet worden. Es folgten Verfahren gegen andere Wachmänner, etwa den 95-jährigen Oskar Gröning und den gleichaltr­igen Reinhold Hanning. Allein 2016 leitete Ludwigsbur­g 30 neue Vorermittl­ungsverfah­ren ein und gab sie zumeist an die zuständige­n Staatsanwa­ltschaften ab. Viele der früheren Nazi-Helfer sind allerdings tot – oder nicht verhandlun­gsfähig, wie eine ehemalige Funkerin aus Auschwitz. Sie war wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 260 000 Juden angeklagt. Doch sie war schon 2016 zu gebrechlic­h für einen Prozess.

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