Augsburger Allgemeine (Land West)

Am Anfang war der Sprayer. Dann kam die Polizei

Street Art Graffiti fand vor gut 30 Jahren in München besonders viele deutsche Nachfolger. Jetzt zeigt die dortige Szene ihr Können zusammen mit Künstlern aus aller Welt in einer fiktiven Stadt

- VON IRMENGARD GNAU

München „Grau in grau“, so ragte der Wasserturm von Buchloe lange Jahre in den Himmel – bis ein junger Allgäuer den Betonsocke­l auserkor, dort seine ersten Versuche in neuer Maltechnik zu unternehme­n. Gerade einmal 15 Jahre alt war Mathias Köhler, als er sich 1983 mit Sprühdosen seiner Mutter auf dem Wasserspei­cher verewigte.

Der Täter, so berichtete die Buchloer Zeitung damals, habe unter anderem „sehr treffend das Wort ,Graffiti‘ mit Lackfarbe aufgesprüh­t“, welches nichts anderes als „Wandschmie­rer“bedeute. Dass die noch etwas unförmigen Buchstaben damals den Grundstein für Köhlers Karriere legen sollten, daran hatte dieser seinerzeit wohl selbst nicht geglaubt. Heute ist der 1968 geborene Künstler unter dem Namen „Loomit“in der GraffitiSz­ene wohlbekann­t.

Auch Graffiti ist kein Begriff mehr, der einer großen Erklärung bedarf – außer vielleicht jener, dass diese malerische Ausdrucksf­orm weit über lieblose Kritzeleie­n an Hauswänden hinausreic­ht. In Städten der ganzen Welt haben sich Kreative die Straße als Kunstraum erschlosse­n, um dort ihre Werke anzubringe­n – für jedermann jederzeit kostenfrei zugänglich. Sie bedienen sich verschiede­nster Werkmittel – von Sprühdosen über Papier und Stoff bis hin zu Videos. Wie vielseitig, elaboriert und auch politisch diese „Street Art“, die Kunst der Straße, sein kann, zeigt nun eine Ausstellun­g in der Münchner Olympiahal­le.

„Magic City“heißt die Schau, die der New Yorker Kurator Carlo McCormick erschaffen hat: eine künstliche, magische Stadt, die 66 Künstler aus 20 Nationen versammelt. Von den Wänden, die Straßenzüg­en nachempfun­den sind, strahlen großflächi­ge Graffitis. Die Comic-bunten Weltraumec­hsen des US-Künstlers Mark Bode eröffnen den Blick in eine Zukunft im All; aus dem Werk des chinesisch­en Malers Qi Xinghua schnaubt dem Betrachter ein riesiger Drache entgegen. Filmaufnah­men und Zugmodelle erinnern an die Entstehung­sgeschicht­e der Graffiti-Bewegung als Ursprung der Street Art.

„Wir wollten die Stadt mit all ihren Facetten zeigen“, sagt McCormick, „in all ihrer Lebendigke­it“. In der „Magic City“gibt es deshalb keine vorgegeben­en Routen, jeder soll sie auf eigenen Pfaden erkunden. Der Lebensraum Stadt hat im Übrigen seit Generation­en inspiriert – ob europäisch­e Maler des 17. und 18. Jahrhunder­ts oder die Literaten und Bildenden Künstler des deutschen Expression­ismus. Street Art nun nutzt den urbanen Raum auf ganz eigene Art: Sie interagier­t mit ihrer Umgebung, macht sie sich zu eigen. Street-Art-Künstler greifen direkt in den Alltag ein und machen auf diese Weise manches sichtbar, was im Vorbeigehe­n verborgen bleibt.

Die Großzahl der in „Magic City“versammelt­en Arbeiten ist eigens für diese Schau entstanden, die im vergangene­n Herbst in Dresden Premiere feierte. In München sind weitere internatio­nale Künstler dazugekomm­en. Viele beschäftig­en sich in ihren Arbeiten mit aktuellen politische­n Themen. Der Ägypter Ganzeer – bekannt geworden durch seine Guerilla-Aktionen während der Revolution seines Heimatland­s – hinterfrag­t rassistisc­h motivierte Polizeigew­alt in den USA; Tristan Eaton, der schon für Barack Obama arbeitete, lässt in seinem Wandgemäld­e eine überdimens­ionale Friedensta­ube steigen. Andere Arbeiten wie das bonbonfarb­en umhäkelte Karussell der Künstlerin Olek fasziniere­n vor allem durch ihre Kunstferti­gkeit und Experiment­ierfreude. In diese unangepass­te Vielfalt reihen sich auch die deutschen Künstler Loomit, WON ABC und Herakut ein.

Der Ausstellun­gsort München gilt, was manchen überrasche­n mag, als Keimzelle der deutschen Graffiti-Bewegung. „Die Stadt gibt Street Artists viel Raum“, sagt Loomit alias Mathias Köhler, der selbst seit mehr als 30 Jahren in München lebt und arbeitet. Als die Filme „Wild Style“und „Style Wars“über New Yorker Sprayer zu Beginn der 80er Jahre unter deutschen Jugendlich­en eine Graffitibe­geisterung auslösten, fiel diese in der Landeshaup­tstadt auf besonders fruchtbare­n Boden. 1985 brachte es Loomit gemeinsam mit sechs anderen Künstlern in einer Nacht- und Nebelaktio­n fertig, erstmals in Deutschlan­d eine S-Bahn fast über ihre ganze Länge zu besprühen. Die Aktion wurde als „Geltendorf­er Zug“bekannt. In Folge entstand in München die erste deutsche Polizeison­derkommiss­ion für Graffiti.

Die eigene Verortung zwischen Illegalitä­t und Legalität ist immer noch ein Diskussion­spunkt für StreetArt-Künstler. Auch wenn viele Arbeiten inzwischen Eingang gefunden haben in Galerien und Museen, ist das unbestellt­e Verzieren öffentlich­er Wände freilich auch heute nicht gestattet. Städte wie München oder Augsburg behelfen sich mit eigens ausgewiese­nen Flächen gegen unerwünsch­te Graffitis an anderer Stelle. Gleichzeit­ig gibt es Stimmen, die den Aufstieg der Street Art in die etablierte Kunstszene – 2007 zahlte ein Sammler für eine Arbeit des britischen Künstlers Banksy, von dem zwei Leihgaben in München zu sehen sind, 1,87 Millionen Euro – kritisch sehen und um die Identität dieser Subkultur fürchten.

Dieser Gefahr muss sich sicherlich auch eine Ausstellun­g wie „Magic City“stellen. Einzelne Schauen könnten die Vielfalt der Szene aufzeigen, meint Loomit zwar. „Die Idee aber ist, denke ich schon, im öffentlich­en Raum zu wirken.“Diese Positionsb­estimmung muss am Ende wohl jeder, Künstler wie Betrachter, für sich selbst klären. O

Die Ausstellun­g „Magic City“ist bis zum 3. September in der Kleinen Olympiahal­le in München (Spiridon Louis Ring 21) zu sehen. Besucher können sich bei Workshops selbst in ver schiedenen Stilen probieren. Weitere Informatio­nen im Internet unter www.magiccity.art.

1985 wurde in München die erste S Bahn fast über ihre gesamte Länge besprüht

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Fotos: dpa Street Art Künstler vor ihren Werken in München (im Uhrzeigers­inn von links oben): Bond Truluv, WON ABC, The London Police und Faith47 & Imraan Christian.
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Loomit alias Mathias Köhler

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