Augsburger Allgemeine (Land West)

China – und dann lange nichts

Tischtenni­s Spieler aus dem Reich der Mitte dominieren die Konkurrenz. Das war nicht immer so, einst holten auch Europäer große Titel. Einer ist jetzt Bundestrai­ner. Was er ändern will

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Frankfurt am Main

Seinen Matchball verwandelt­e er mit einer krachenden Vorhand. Vor 25 Jahren wurde Jörg Roßkopf in Stuttgart Tischtenni­s-Europameis­ter. „Dieser Sieg hat für mich einen hohen Stellenwer­t, denn ich wollte in meiner Karriere unbedingt einen großen Einzeltite­l holen“, sagte der Mann, der im Doppel WM-Gold (1989) und Olympia-Silber holte (1992).

Ein Vierteljah­rhundert später bekommt sein Erfolg von damals noch einmal eine Bedeutung. In Deutschlan­d findet vom 29. Mai bis 5. Juni wieder eine große Meistersch­aft statt, und Roßkopf ist mittlerwei­le Bundestrai­ner. Er wird seine beiden Nachfolger Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov bei der Heim-WM in Düsseldorf betreuen.

Hinzu kommt: Sein damaliger Endspiel-Gegner Jean-Michel Saive aus Belgien will sich am Rande der WM zum Präsidente­n des Weltverban­des ITTF wählen lassen. Diese Namen stehen für die letzte Generation von Spielern, die die übermächti­gen Chinesen nicht nur ärgerten, sondern auch besiegten. In unterschie­dlicher Funktion wollen sie jetzt wieder an der Dominanz der Tischtenni­s-Weltmacht rütteln.

„Unser Sport ist langweilig, weil am Ende immer ein Chinese gewinnt“, sagte Roßkopf. „Zu meiner Zeit hat China Jahre gebraucht, um einen Titel zu holen. Da müssen wir wieder hin.“Seine Generation habe der ITTF „immer wieder gesagt: Nehmt die alten Spieler dazu. Wir wissen, wie es früher war und ob es Sinn macht, vieles davon in die neue Zeit zu übertragen.“

Sein alter Rivale Saive sieht das ganz ähnlich. Der frühere Weltrangli­stenerste sagt: „Für den Rest der Welt sind die Chinesen zu stark zu viele Spieler. Wenn der Rest der Welt wieder aufholt, werden davon alle profitiere­n.“

Jörg Roßkopf ist einen klassische­n Weg gegangen: groß gewor- den in seinem kleinen Heimatvere­in, nach der Schule in ein Leistungsz­entrum gewechselt, dort zum Weltklasse­spieler gereift. Der Übergang von der Profi- zur Trainerund karriere war nahtlos. Der heute 47-Jährige ist lange genug dabei, um zu wissen, dass die Chinesen nicht nur mit der Hilfe von ein paar prominente­n Namen herauszufo­rdern sind. Im Grunde ist der Vorsprung dieses Landes uneinholba­r.

China ist das einzige Land der Erde, das mehr als 1,3 Milliarden Einwohner hat. Und China ist das einzige Land, in dem Tischtenni­s Volkssport ist. „In China fängt ein Spieler mit fünf Jahren an, bei uns mit neun oder zehn“, erklärt Roßkopf. „In diesem Alter hat ein chinesisch­es Kind schon hunderte von Stunden an der Tischtenni­splatte verbracht. Es wird dann mit 15, 16 Jahren in den Herren-Kader integriert und mit 17, 18 Jahren eine Granate sein.“

Die riesige Konkurrenz in China und die Härte des Auslesesys­tems tun ihr Übriges auf dem Weg zum Weltklasse­spieler. Wer es in Chinas Kader für die WM in Düsseldorf schafft, hat damit schon einen härteren Wettbewerb hinter sich, als es die WM selbst ist.

Roßkopf dagegen hat das gleiche Problem, das auch seine Kollegen im Turnen, Volleyball oder Rudern beklagen: Das meiste Geld und die größte Aufmerksam­keit konzentrie­ren sich in Deutschlan­d ganz auf den Fußball. „Wir können nur dann wieder einen Stellenwer­t wie früher bekommen, wenn wir wieder mehr Möglichkei­ten haben“, sagt Roßkopf. „Wenn wieder mehr Schulsport angeboten wird, wenn wir wieder mehr Kinder in die Vereine bewegen, wenn wir wieder mehr im Fernsehen übertragen werden und wenn auch andere Sportarten populärer werden.“

Die WM in Düsseldorf soll dazu einen Beitrag leisten.

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Foto: dpa Ma Long ist der beste Tischtenni­sspieler der Welt – und er kommt (natürlich) aus Chi na. Dort herrschen riesige Konkurrenz und ein knallharte­s Auslesesys­tem.

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