Augsburger Allgemeine (Land West)

Vater macht Tochter das Leben zur Hölle

Justiz Ein 53-jähriger Mann quält seine Tochter jahrelang. Er erniedrigt und beleidigt sie, schlägt sie und missbrauch­t sie sexuell. Im Prozess vor dem Augsburger Amtsgerich­t erzählt die 18-Jährige von ihrem Martyrium

- VON PETER RICHTER

Obwohl er schon lange in Deutschlan­d lebt, ist dem Vater von Saida* anzumerken, dass er in einer anderen Welt aufgewachs­en ist: Einer Welt, in der der Mann als „das Maß aller Dinge“gilt, Frauen noch immer unterdrück­t werden. Der 53-Jährige, der jetzt auf der Anklageban­k des Amtsgerich­ts saß, stammt aus Marokko. Seine Tochter hatte ihn im Oktober bei der Polizei angezeigt. Ihr Vater habe sie jahrelang misshandel­t, auch einige Male sexuell missbrauch­t, erzählte sie bei ihrer Vernehmung.

Nachdem Staatsanwä­ltin Kathrin Schmid die Anklage verlesen hat, versichert der 53-Jährige, dass nichts davon stimme. „Ich bin nicht so ein schlechter Vater“, sagt er. Dann erinnert er sich doch an zwei Ohrfeigen. Mehrmals habe er seine Tochter erwischt, wie sie wegen schlechter Schulnoten seine Unterschri­ft gefälscht habe. Der Angeklagte hat aus zwei Ehen mehrere Kinder, lebte aber seit einigen Jah- ren alleine mit Tochter Saida in Augsburg, wo er als Taxifahrer gearbeitet hat.

Saida ist inzwischen 18, geht aufs Gymnasium. Diesen Mai wird sie ihr Abitur schreiben. Im Prozess tritt sie mit Opferanwäl­tin Marion Zech als Nebenkläge­rin auf. Als sie in den Gerichtssa­al gerufen wird, verlassen mehr als ein Dutzend junger Leute, die als Zuhörer gekommen waren, den Gerichtssa­al. Aus Taktgefühl, erklärt eine junge Frau. Sie wollen es ihrer Mitschüler­in leichter machen, öffentlich Intimes preisgeben zu müssen. Und dann erzählt Saida, stockend, immer wieder mit den Tränen kämpfend, dem Jugendschö­ffengerich­t von ihrer Kindheit. 14 Jahre davon müssen ein Martyrium gewesen sein, körperlich, aber noch mehr seelisch: Erniedrigt, beleidigt, bespuckt und am Ende missbrauch­t.

Schon mit jungen Jahren, als sie noch gemeinsam mit ihren Brüdern und der Stiefmutte­r zusammen lebte, musste sie „den Haushalt schmeißen“. Das blieb so, nachdem sich ihre Eltern getrennt hatten, sie mit ihrem Vater nach Augsburg zog. Er überwachte die älter werdende Tochter, verbot ihr, sich mit Jungen zu treffen.

In der 8. Klasse, erinnert sich die Zeugin, habe ihr Vater eines Vormittags immer wieder ihr Handy angewählt, das auf lautlos gestellt war. Als sie in einer Unterricht­spause zurückruft, wirft er ihr vor, sich mit einem Jungen herumzutre­iben. Er habe sie gesehen. „Abends hat er mich dann zur Schnecke gemacht, mich geohrfeigt und gesagt, ich glaube dir nicht.“Die junge Frau bestätigt, als Kind mehrmals Unterschri­ften gefälscht zu haben. Bei Schulaufga­ben, die wegen schlechter Noten den Eltern vorzulegen waren. „Weil ich panische Angst hatte.“Die 18-Jährige erzählt, wie sie einmal nach einer Sechs in Französisc­h geschlagen und beschimpft wurde.

Einmal entdeckte ihr Vater ein Poesiealbu­m, das sie einem Klassenkam­eraden hatte schenken wollen. Darin ein Foto, das beide zeigt. Ihr Vater sei daraufhin völlig ausgeraste­t, sagt die Zeugin. „Er hat mich als Hure, Schlampe, Abschaum bezeichnet, mir ins Gesicht gespuckt.“Das Buch landete zerrissen in der Toilette.

Als sie 16 ist, wird Saida eines Nachts wach, als ihr Vater in ihrem Bett liegend ihre Brust streichelt. Sie stellt sich weiter schlafend. Ebenso an einem Abend, wo sie auf der Couch liegend vor dem Fernseher eingeschla­fen ist. Sie wird wach, als ihr Vater sich sexuell an ihr vergeht. Aus Angst und Scham hält sie still. „Mein Vater ist dann aufgestand­en und ging in ein anderes Zimmer.“

Saida schweigt, lebt weiter mit ihrem Vater zusammen, bis er eines Tages überrasche­nd nach Marokko abreist – für mehrere Monate, wie sich herausstel­lt. Seine Tochter ist mit ihrer Klasse gerade auf Abiturfahr­t. „Er hat mir 300 Euro da gelassen.“Saida zieht mit ihrem Freund zusammen, jobbt neben der Schule. Fünf Monate später werden die jungen Leute um sechs Uhr morgens durch stürmische­s Klingeln geweckt. Über das Haustelefo­n hören sie die Stimme von Saidas Vater. Sie öffnen nicht, fliehen wenig später aus der Wohnung. Hatte ihr Vater doch gedroht, wenn er sie einmal mit einem Freund erwischt, würde er erst ihn, dann sie umbringen. Am gleichen Abend geht Saida zur Polizei, zeigt ihren Vater an.

Das Jugendschö­ffengerich­t hat Saidas Vater (Verteidige­r: Marco Müller) jetzt zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen Misshandlu­ng eines Schutzbefo­hlenen, sexuellen Missbrauch­s und sexueller Nötigung. Das Gericht äußerte sich überzeugt, dass die Zeugin nicht gelogen hat. Vielmehr sei sie in einem Zustand „permanente­r Angst“aufgewachs­en.

An den Angeklagte­n gewandt, sagte Richterin Angela Reuber: „Sie haben ihrer Tochter vermittelt, dass sie nichts wert ist, sie wie den letzten Dreck behandelt.“Auch der Koran propagiere keine gewaltsame Erziehung. *Name geändert

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