Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn beim Zocken die Kontrolle entgleitet
Glücksspiel Die Zahl der Spielsüchtigen in Augsburg steigt. Sie lassen ihr Geld in Spielhallen, aber auch in Sport-Wettbüros. Die Stadt fährt bei dem Thema einen strengen Kurs, doch die juristische Lage ist verworren
Nennen wir ihn Mario. Ein junger Mann, 27 Jahre alt vielleicht, mit geringem Einkommen, aber hohen Ausgaben. Ein Mann, der nach der Arbeit direkt in die Spielhalle geht und sein Geld in die Automaten steckt. Mal gewinnt er etwas, viel öfter verliert er. Dies hält ihn nicht ab, dennoch jeden Tag hierherzukommen und zu zocken; er ist spielsüchtig. Und auch sonst hält ihn niemand davon ab, obwohl er fast 25000 Euro Schulden hat und viele, die ihn kennen, ahnen, dass er ein Problem hat.
Mario, muss man an dieser Stelle sagen, gibt es nicht. Er ist eine fiktive Figur, ein Beispiel. Männer wie er existieren in Augsburg allerdings durchaus. Krankhafte Zocker sind oft noch unter 30 Jahre alt, haben Migrationshintergrund und sind „eher im unteren Einkommensbereich anzusiedeln“, wie Udo Büchner-Kühn von der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas in Augsburg erklärt. Seit Jahren wer- den bei der Caritas immer mehr Spielsüchtige beraten. 2008 waren es knapp 30, im vergangenen Jahr 146. Lange war Spielsucht ein Thema, das vor allem Männer betraf. Doch auch bei den Frauen, sagt Büchner-Kühn, sei die Tendenz steigend. Die Klientel unterscheide sich jedoch deutlich von den spielsüchtigen Männern. Oft über 50 Jahre alt seien die Frauen, alleinstehend und traumatisiert. Einsam.
Die Mehrheit der Spielsüchtigen zocke dabei nach wie vor an Automaten, sagt Büchner-Kühn. Er könne aber prognostizieren, dass das Thema Sportwetten für die Suchtberatung in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird, als sie es bereits tue. Die Wetten beinhalteten „eine hohe Suchtgefährdung“, sie lösten bei Spielern eine große Gewinnerwartung aus. Und alleine die Verfügbarkeit im Internet zieht die Menschen weiter an.
In Augsburg hat die Stadtverwaltung in der Vergangenheit einen regelrechten Kampf gegen SportwettBüros ausgefochten. Im August 2016 bestätigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer Eilentscheidung das Verbot von LiveWetten, also Wetten, die während eines laufendes Spiels abgeschlossen werden, etwa auf den nächsten Elfmeter. Immer wieder kommt es vor, dass Betreiber von Wettbüros gegen die Stadt klagen, da diese ihnen untersagt, Live-Wetten anzubieten. Alleine in den vergangenen Wochen waren deswegen drei ähnliche Verfahren vor dem Augsburger Verwaltungsgericht anhängig. Zwei Prozesse fanden nicht statt, einmal entschied die Kammer, der Betreiber eines Wettbüros müsse gewährleisten, dass dort künftig keine LiveWetten mehr stattfinden.
Oftmals spielt sich das Geschäft nicht in Wettbüros ab, sondern an Wett-Terminals, die in Lokalen, Solarien oder Handyläden stehen. Ende 2016 habe man erlassen, dass Gaststätten entweder solche Terminals aufstellen dürfen oder Glücksspielautomaten, aber nicht beides, berichtet Ordnungsreferent Dirk Wurm (SPD). Er glaubt nicht, dass es seither in Augsburg noch Wettterminals in Gaststätten gebe. Die Glücksspielautomaten brächten den Lokalen schlicht mehr Geld. Generell fahre die Stadt beim Thema Glücksspiel und Sportwetten einen restriktiven Kurs, sagt Wurm. Es sei notwendig, das Angebot so einzuschränken, dass es beherrschbar sei. Durch das strenge Vorgehen und Bebauungspläne, die Glücksspiel oft ausschließen, „haben wir eine Zementierung des Status quo“erreicht, sagt Wurm.
Dieser Status quo sieht so aus: 89 Spielhallen gibt es in Augsburg aktuell, es ist eine Zahl, die sich seit Jahren auf ähnlichem Niveau bewegt. Acht Sportwettbüros sind der Stadt daneben bekannt, die Schwerpunkte liegen in Oberhausen und der Jakobervorstadt. Die juristische Lage um diese Büros ist verworren. Ein Beispiel: Nach dem Glücksspielstaatsvertrag von 2012 sollte das zuständige Land Hessen im Auftrag der Bundesländer 20 Konzessionen an private Sportwettenfirmen erteilen, was im September 2014 auch passierte. Mehrere der nicht berücksichtigten Anbieter klagten jedoch gegen das Verfahren und bekamen recht. Vor gut einem Monat einigten sich die Ministerpräsidenten auf ein Konstrukt, das im feinsten Behördendeutsch „Zweiter Glücksspieländerungsstaatsvertrag“heißt; ab dem 1. Januar 2018 sollen nun 35 Sportwetten-Anbieter eine Lizenz erhalten. Private Anbieter wären damit raus aus der Grauzone, die Länderparlamente müssen noch zustimmen.
Er wolle die Zahl der Wett-Büros in der Stadt begrenzen, sagt Wurm. Doch ohne eine Rechtsgrundlage ist das schwierig; und die sei bislang unklar. Unklar ist freilich auch, wie viele einzelne Wett-Terminals in Augsburg stehen. Etwa 15 seien es wohl in Läden wie Handyshops, Solarien und Internetcafés, teilt Wurm mit. Grundsätzlich unzulässig seien sie nicht. Doch nachdem die Terminals in Gaststätten beseitigt wurden, beabsichtige die Stadt nun, verstärkt gegen derartige Aufstellorte vorzugehen.
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