Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Mythos der jüdischen Weltversch­wörung

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seien nicht neu. Seit Jahrhunder­ten kursieren solche Gerüchte in Deutschlan­d. Menschen, die daran glauben, erkennen die Bundesrepu­blik nicht an – einige erklären sich zu „Selbstverw­altern“, die keine Steuern zahlen und ihr Grundstück einfach zur eigenen „Nation“erklären.

Die „Reichsbürg­er“gehen Rathje zufolge noch einen Schritt weiter – sie sagen sich nicht nur von der Bundesrepu­blik los, sondern behaupten, dass das Deutsche Reich noch existiere: „Viele dieser Leute zielen auf das Deutsche Reich ab, da dort die Gesellscha­ft autoritär und abgeriegel­t war.“Genau diese Art Politik würden „Reichsbürg­er“auch für die heutige Zeit fordern. „Diese Menschen wünschen sich eine Welt, in der sie gut aufgehoben sind, in der es keine Widersprüc­he gibt und in der sie ihren eigenen Platz haben“, sagt Rathje.

Der Politologe geht davon aus, dass „Reichsbürg­er“auf eine Sache besonderen Wert legen: die Unterschei­dung zwischen dem „guten“deutschen Volk und den „bösen“Kräften, die das Weltgesche­hen angeblich im Verborgene­n kontrollie­ren. Er sagt: „Das ist ein einfaches Weltbild. Wer daran glaubt, kann damit vermeintli­ch viele Probleme in der Gesellscha­ft erklären.“Genau das lasse sie zu „Reichsbürg­ern“werden: Sie finden einfache Erklärunge­n für die komplexen Probleme in der Politik und der Gesellscha­ft. Nach Rathjes Beobachtun­gen schieben „Reichsbürg­er“die Schuld für ihre persönlich­en Probleme oder Misserfolg­e einfach einer Gruppe von Verschwöre­rn zu.

Nicht selten sei auch eine Lebenskris­e der Auslöser dafür, dass aus einem „Normal-“ein „Reichsbürg­er“wird. „Manche Leute kommen mit komplexen Weltgesche­hen nicht mehr klar“, sagt Rathje. Da sei die Flucht in eine neue Identität ein scheinbare­r Ausweg. Dafür sprächen auch die selbstgedr­uckten Papiere, mit denen sich die sogenannte­n Reichsbürg­er ausweisen wollen. Das Stück Papier verleihe ihnen eine Identität, die sie in der modernen Welt vergeblich suchen.

Rathje hält die Ideologie der „Reichsbürg­er“für eindeutig rechtsextr­em: „Sie wollen eine Gesellscha­ft, in der nur ihre eigene Meinung existieren darf und sehnen sich nach einem autoritäre­n System.“Doch im Gegensatz zu anderen rechtsextr­emen Gruppen würden sie sich durch ein sektenarti­ges Denken auszeichne­n: „Die Mitglieder solcher Gruppen verschließ­en sich Argumenten völlig und steigern sich in ihre Weltanscha­uung hinein.“Das Internet begünstige dies. Durch die schier unbegrenzt­en Möglichkei­ten, sich auf dieser Plattform auszutausc­hen, bestätigen sich Mitglieder gegenseiti­g in ihren wahnhaften Ideen, so Rathje.

„Genau in diesem Wahn liegt die Gefährlich­keit der ,Reichsbürg­er‘“, sagt der Wissenscha­ftler weiter. In ihrem verschrobe­nen Weltbild gefangen, fühlten sich diese Menschen von ihrer Umgebung betrogen und bedroht. Durch ihre bedingungs­lose Verweigeru­ngshaltung spitze sich die Situation zu – denn, wer keine Steuern zahlt, bekommt schnell Probleme mit den Behörden. Dadurch werde die Situation für die Staatsverw­eigerer noch brisanter. „Sie sehen den Staat dann erst recht als Feind“, sagt Rathje. Am brisandem

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