Augsburger Allgemeine (Land West)

Zuschauer sollen reagieren

Das Sensemble stellt die Reformatio­n zur Debatte

- VON ALOIS KNOLLER

„Was reden Sie da für einen Mist! Das ist alles gelogen!“So ein Einwurf aus dem Publikum kann eine Theatersze­ne sprengen. Die Schauspiel­erin Daniela Nering im Dirndl bringt er nicht draus. Unbeirrt preist sie die fiktive Neuauflage von Antonius Margaritha­s wüst antisemiti­scher Schrift „Der ganz jüdisch Glaub“von 1531 – ergänzt um Martin Luthers „Von den Jüden und ihren Lügen“– im Augustanas­aal an. Die Provokatio­n ist beabsichti­gt. Sebastian Seidels Sensemble-Theater möchte mit drei Stationen zur Reformatio­n die Zuschauer dazu herausford­ern, eine eigene Haltung zu entwickeln zu den teilweise unerhörten Denkweisen dieser Zeit.

Schwer zu unterschei­den, was Ironie und Ernst ist, was von den Schauspiel­ern kommt und was von den Zuschauern. Letztere schalten sich durchaus ein, verlangen eine ungestörte Aufführung und bestärken mitunter den Vortrag, was wiederum die Darsteller schockiert. Seidel hat die drei je 20 Minuten kurzen Szenen speziell für den Europäisch­en Stationenw­eg geschriebe­n, der mit Geschichte­n zur Reformatio­n in Augsburg haltmachte. Eine weitere Aufführung ist beim Schwabenta­g am 23. September in Augsburg vorgesehen.

In der Barfüßerki­rche ziehen mit einem frommen Lied Anhängerin­nen der Wiedertäuf­er ein. Die Idylle ist perfekt, bis ein Amtmann sich Susanna Daucher greift und ihr „Leibs- und Lebensstra­fen“androht, weil sie die Sekte unterstütz­t. Aus der historisch­en Szene wird bedrängend­e Gegenwart von Verfolgung und Vertreibun­g. Zu wem soll man halten? Zur Ordnungsma­cht oder zu den Gewissenss­tarken? Leisetrete­rei ist im Fürstenzim­mer des Rathauses die Stärke von Kanzler Beyer, der einschläfe­rnd das Bekenntnis der Reformatio­n vorträgt. „Ist er jetzt gegen oder für die Kirche?“, fragt das kritische Zuhörerpaa­r. „Ich würde es streitbare­r machen“, sagt der Mann. Funken schlägt das Sensemble allemal mit den drei Szenen.

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