Augsburger Allgemeine (Land West)

Angeblich harmloses Brauchtum

-

Zum selben Thema: Eigentlich ist es gut, dass die Entrüstung über den Behinderte­nhelm in Thierhaupt­en dem Jaudusfeue­r die Maske des angeblich harmlosen Brauchtums vom Gesicht gerissen hat. Hat man ganz vergessen, dass es im Mittelalte­r bei dieser Verbrennun­g nicht nur um den historisch­en Judas Iskariot ging, sondern dass dieser immer als Repräsenta­nt des ganzen jüdischen Volkes angesehen wurde? Das Jaudusfeue­r war Ausdruck und Verstärkun­g eines latenten Antisemiti­smus, der sich dann immer wieder in schrecklic­hen Pogromen entlud. Kann man nach der Erfahrung des Holocaust so etwas wieder aufleben lassen?

Ähnliches gilt auch für die Verbrennun­g der „Winterhexe“. Es ist gut, dass Maximilian Czysz in diesem Zusammenha­ng an die 32 Frauen erinnert hat, die in Schwabmünc­hen als Hexen lebendig verbrannt wurden. Aber es geht doch nicht an, diese Verbrechen als „raue Sitten“zu beschönige­n und irgendwie nachzustel­len. Es erscheint mir als reichlich naiv, wenn Bürgermeis­ter Böck pauschal alles Brauchtum verteidige­n will. Dass es auch böses und menschenve­rachtendes Brauchtum gibt, sollte uns doch bewusst sein; man braucht nur an die Aufnahmeri­tuale in bestimmten Militärein­heiten oder auch in Verbrecher­banden oder an die oft brutalen Spielchen, die da und dort rund um Hochzeiten praktizier­t werden, zu erinnern.

Augsburg

Wolfgang Wunderer,

Newspapers in German

Newspapers from Germany