Augsburger Allgemeine (Land West)
Jeder Fünfte hat hier die AfD gewählt
und Stühle hereinschleppen. Am nächsten Tag soll hier der Landesparteitag stattfinden. Parteivize Alexander Gauland wird da sein und mit ihm Björn Höcke, der umstrittene Thüringer AfD-Vorsitzende.
Es ist kein Zufall, dass sie sich ausgerechnet hier treffen, in einer Stadt im Osten Brandenburgs. Denn Frankfurt ist nicht irgendein Ort. Für die AfD ist es ein Ort der Hoffnung. Besonders jetzt, wo die Partei kurz vor dem Bundesparteitag durch interne Grabenkämpfe in ein Umfrage-Tief gerutscht ist.
Die Stadt gilt als Hochburg der Alternative für Deutschland, seitdem sie bei der Landtagswahl jeder Fünfte gewählt hat. 2014 war das, lange also bevor tausende Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof ankamen und Alexander Gauland hoffte, niemals einen Nachbarn namens Boateng zu bekommen. Bei der Kommunalwahl im gleichen Jahr holte die AfD fast zwölf Prozent. Zur Bundestagswahl im September tritt nun Gauland persönlich in dem Wahlkreis an. Mit ihm will die AfD in Frankfurt an den großen Parteien vorbeiziehen.
Die Vorstellung ist weit weg, absurd ist sie nicht. Wie aber konnte es so weit kommen?
Frankfurt (Oder) liegt am äußersten Rand Deutschlands, dort, wo die Ansagen im Regionalexpress erst in Deutsch und dann in Polnisch aus dem Lautsprecher kommen. 60000 Menschen wohnen hier, früher einmal waren es fast 100 000. Es ist eine Stadt, deren Geschichte man an den Bauwerken ablesen kann, die guten Jahre und die schlechten. Da sind das gotische Rathaus, eines der ältesten des Landes, und die renovierten Gründerzeithäuser. Und da sind, so hoch, dass man sie nicht übersehen kann, die sozialistischen Plattenbauten, grau und verlassen.
Vor der Wende gab es in Frankfurt ein Halbleiterwerk, 8000 Menschen waren dort beschäftigt. In den Jahren danach sind vor allem die Jungen weggegangen. Nach Hamburg, nach München oder einfach nur nach Potsdam. Dorthin, wo es Arbeit gab. Zurückgeblieben ist eine Stadt, die zu groß geworden ist für ihre Einwohner.
Fragt man Wilko Möller nach den Problemen der Stadt, dann redet er deshalb nicht sofort über Einwanderung und Flüchtlinge, auch nicht über die Grenzkriminalität, sondern über den demografischen Wandel. In Frankfurt werden jedes Jahr mehr Menschen begraben als auf die Welt gebracht, die Stadt schrumpft nicht nur, sie wird vor allem älter. Investoren bauen leere Schulen und Wohnheime zu Seniorenresidenzen um, es ist ein lukratives Modell.
Niedrige Renten, Abstiegsangst, die Kluft zwischen Arm und Reich – sind Themen, mit denen bisher SPD und Linkspartei Wähler gewonnen haben. Auch in Frankfurt hat die Linkspartei bei der Kommunalwahl 30 Prozent bekommen. Und doch hat die Partei mit jedem Wähler, den die AfD gewonnen hat, Stimmen verloren.
In Frankfurt zeigt sich, was sich in vielen Orten im Land und in ganz Europa zeigt: Es sind oftmals links geprägte Orte, die ehemaligen Arbeiterstädte, in denen Rechtspopulisten Erfolge feiern. Und in denen die Unzufriedenheit über „die da oben“größer scheint als anderswo. Die Menschen, die einem auf dem AfD-Parteitag begegnen, reden gern von Werten und von Heimat, genauso wettern sie aber auch gegen hohe Managergehälter, die Brüsseler Bürokratie oder eine vermeintliche Zensur in den Medien.
Wilko Möller, der Ortsvorsitzende, steht gleich zu Anfang auf dem Podium. Drei Tage vorher haben Unbekannte einen Farbbeutel auf das Frankfurter AfD-Büro geschleudert. Es ist bereits der dritte, seitdem es das Büro gibt. „Wir halten hier durch“, ruft Möller in den immer lauter werdenden Applaus. „Wir lassen uns unsere Meinungspolitik nicht kaputt machen durch Farbbeutel.“Ein Mann im Publikum trägt einen Kapuzenpulli. Er ist leuchtend blau, so wie die Plakate, die sie ringsherum in der Halle aufgehängt haben. Wir, steht auf dem Pullover, sind die Guten.
Die Menschen hier in der Turnhalle, sie sehen sich auf der richtigen Seite, alle anderen auf der falschen. Martin Patzelt ist einer von diesen anderen. Er sitzt für die CDU im Bundestag und ist der Mann, auf dessen Stuhl es Alexander Gauland abgesehen hat. Patzelt wird im Sommer 70. Er hat fünf Kinder und sieben Enkel. Eigentlich, sagt er, habe er ziemlich viele Pläne, die nichts mit Politik zu tun haben. Die stellt er aber erst einmal hintenan. Denn, betont er, der AfD und Gauland seidas