Augsburger Allgemeine (Land West)
Der „Record Store Day“war ein Geschenk für den Handel
verkauft. Gegenüber 2015 stieg der Umsatz um 40 Prozent auf 70 Millionen Euro, was sogar den Umsatz mit Downloads übertrifft, aber nur rund ein Zwanzigstel des Gesamtmarktes ausmacht. In Großbritannien erreichten die Schallplatten-Verkäufe 2016 den höchsten Stand seit 1991. Seit 2007 ist der Vinyl-Markt ununterbrochen auf Wachstumskurs – das Revival feiert dieses Jahr quasi sein Zehnjähriges. Übrigens genau wie der „Record Store Day“, der einst gegründet wurde, um den unabhängigen Plattenläden Aufmerksamkeit und Umsatz zu verschaffen. Jenen Läden, die dem Format auch im goldenen Zeitalter der CD und dem Aufstieg von Streaming und MP3 tapfer die Treue hielten – auch in den Krisenjahren.
Bei allem neuen Jubel über die lukrative Nische: Das Geschäft mit der Schallplatte hat einen Umbruch hinter sich. Noch in den 1990ern war Vinyl ein Medium des Widerstands: Während die Industrie die schwarze Scheibe weitgehend ignorierte, hielten vor allem unabhängige Labels an ihr fest. In mancher Szene, etwa beim Punk oder der elektronischen Musik, blieb sie das Format der Wahl. Sie war unverzichtbar für die aufblühende Technound Hip-Hop-Kultur, wichtigstes Werkzeug, Fetisch und dementsprechend ein bedeutender Umsatzfaktor für den Handel. Heute legt das Gros der DJs mit CD-Playern oder Laptop auf. Die verbliebenen Vinyl-Verfechter kaufen zu einem großen Teil in Online-Shops ein. Auf diese Klientel spezialisierte Plattenläden gibt es fast nur noch in Metropolen; andere haben dichtgemacht oder verhökern jetzt zusätzlich Mode oder Turnschuhe.
Daran hat sich auch seit dem Beginn des Vinyl-Revivals wenig geändert. Vom Boom profitieren vor allem Großanbieter wie Media Markt und Müller, die in ihren Mu- sikabteilungen plötzlich wieder Regale mit Vinyl aufgestellt haben, dazu Online-Händler wie Amazon, die große Sortimente anbieten können. Der Blick auf die 2015 eingeführten deutschen Vinyl-Charts lässt erahnen, wer die Träger des Aufschwungs sind: Hip-Hop und andere tendenziell junge Genres sind unterrepräsentiert, dafür befinden sich in den Top 20 auch Klassiker von Pink Floyd oder Nirvana.
Natürlich gibt es auch Musikfans um die 20, die Vinyl cool finden. Mehr Umsatz aber schafft die CDGeneration, die sich ihre Lieblingsalben noch einmal auf Schallplatte holt. Sie zahlt dafür offenbar auch gerne etwas mehr: Während Alben auf CD heute oft kaum teurer sind als MP3-Downloads, sind die Preise für die Vinyl-Editionen (die immerhin meist noch einen DownloadCode für die digitale Version enthalten) signifikant gestiegen. 25, 30 Euro und mehr sind normal, speziell bei den Veröffentlichungen der Musik-Multis. Sonderausgaben sind oft deutlich teurer. Weitere Schattenseite des Booms: Weil die wenigen verbliebenen Presswerke mit all den Wiederauflagen, gewichtigen „Collectors-Boxen“und den vor 15 Jahren auf Vinyl schlicht nicht existenten Mainstream-Produkten (Justin Bieber!) mehr als ausgelastet sind, müssen unabhängige Labels, die früher deren beste Kunden waren, manchmal Monate auf einen Herstellungstermin warten.