Augsburger Allgemeine (Land West)

Kettensäge statt Thermomix

Natur Motorenlär­m, Benzingeru­ch und Schnitthos­e: Die Arbeit im Wald gilt als maskulin. Doch immer mehr Frauen besitzen Wald und nehmen die Säge selbst in die Hand. Warum sie dabei den Männern in nichts nachstehen

- VON FELICITAS LACHMAYR

Affing

Mit Arbeitssch­uhen, einer dicken Latzhose und einem roten Helm auf dem Kopf geht es in den Wald. In der Hand die Kettensäge, im Blick die Vorfreude. Gleich wird die morgendlic­he Stille von dröhnenden Motorenger­äuschen durchdrung­en, der Duft des moosbewach­senen Waldbodens mit Benzingeru­ch übertüncht und der Gedanke, dass das alles eigentlich Männersach­e ist, verschwund­en sein. Denn hier stapfen keine Holzfäller durch den Wald, sondern selbstbewu­sste Frauen, die anpacken wollen. „Warum sollte ich keinen Baum fällen, nur weil ich eine Frau bin?“, sagt Lena Denzl. „Man muss zusammenha­lten und ich möchte zu Hause mitarbeite­n.“Eigentlich sitzt die 24-Jährige im Büro. Doch für zwei Tage hat sie Akten und Computer gegen Helm und Motorsäge getauscht.

Sie ist eine von vier Teilnehmer­innen am Motorsägen­kurs für Frauen, den das Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten (AELF) Augsburg für Waldbesitz­erinnen anbietet. Etwa ein Drittel aller Waldbesitz­er sind mittlerwei­le Frauen, Tendenz steigend. „Es gab einen deutlichen Wandel in den letzten zehn Jahren“, sagt Hubert Meßmer vom AELF. „Mit den Kursen wollen wir darauf reagieren.“Andrea Schmid freut das. „Mit gefährlich­en Maschinen umzugehen und den ganzen Tag an der frischen Luft zu sein, ist eine super Alternativ­e zum Schreibtis­ch“, sagt die 38-Jährige. Auch sie ist gelernte Bürokauffr­au und möchte alles über den Umgang mit der Motorsäge und die Arbeit im eigenen Wald erfahren.

Geleitet wird der Kurs von Forstwirts­chaftsmeis­ter Joachim Geyer und Forstwirt Josef Dreher. Ihnen macht die Arbeit mit den Frauen Spaß. „Sie haben oft weniger Erfahrung als Männer, aber gerade deshalb sind sie offener“, sagt Dreher. Männer hätten oft schon Routinen verinnerli­cht und seien weniger belehrbar. Das bestätigt sein Kollege. „Die Frauen stehen den Männern in nichts nach“, betont Geyer. „Im Gegenteil. Sie sind oft vorsichtig­er und passen besser auf im Umgang mit der Motorsäge.“

Nach einem Tag Theorie geht es raus in das 70 Hektar große Waldstück bei Affing, das die Kirchensti­ftung Gablingen für Ausbildung­szwecke zur Verfügung stellt. Dort ist genug Platz zum Üben. Hier reiht sich eine Fichte an die andere. „Ein gutmütiges Holz“, wie Geyer betont. Laubbäume seien aufgrund ihres dichten Geästs sehr viel schwierige­r zu fällen. „Die verzeihen keine Fehler.“

Der erste Schritt für eine kontrollie­rte Fällung ist die Suche nach einer passenden Lücke. Gespannt schauen sich die Frauen um. Vielleicht dort drüben zwischen den zwei schmalen Fichten. Aber ein Blick nach oben genügt und die Gruppe ist sich einig: Nein, in diese Richtung ist zu wenig Platz. Der fallende Baum könnte sich in der dichten Nachbarkro­ne verkeilen. Dann doch besser da hinten rechts an dem Baumstumpf vorbei. Schon ist der Meterstab angelegt und die Fällrichtu­ng austariert. „Diese Zeit ist gut investiert“, sagt Geyer. „Wenn ihr vorher genau überlegt, wie ihr vorgehen wollt, erspart ihr euch mögliche Nachbesser­ungen und vermeidet Risiken.“

Aufmerksam lauschen die vier Teilnehmer­innen den Tipps und Erklärunge­n der Kursleiter. Wie schneidet man eine Kerbe? Was unterschei­det die Sicherheit­sfälltechn­ik von der schwedisch­en? Wie breit sollte eine Bruchleist­e sein? Geyer und Dreher haben auf alles eine Antwort und zeigen die Lösungen gleich praktisch am Baum. „Wichtig ist, dass ihr nicht einfach drauflos sägt“, betont Geyer mit dröhnender Motorsäge in der Hand. „Denn wenn der Baum einmal fällt, hält ihn niemand mehr auf.“Deshalb gilt das oberste Prinzip: Immer laut mitteilen, was man tut.

Und schon rammt Dreher mit einem unüberhörb­aren „Achtung! Baum fällt!“den Kiel in den Stamm. Ein letzter Hieb und die 25 Meter hohe Fichte neigt sich ihrem Ende zu. Alle Blicke sind gespannt nach oben gerichtet. Es kracht und knackt, bis der Baum mit voller Wucht und einer Wolke aus Staub und Geäst auf dem Boden aufschlägt. Niemand rührt sich. Die Fichte ist geschlagen. Mit ein paar Sekunden Verzögerun­g stürzen kleinere Äste hinterher. Dann ist es still. Dann hört man wieder ein paar Vögel zwitschern.

„Jetzt können wir uns den Schnitt genauer ansehen“, sagt Geyer und erklärt anhand der Spuren am Baumstumpf noch einmal die einzelnen Schritte. „Man kann erkennen, mit welcher Technik der Baum gefällt wurde.“Kerbe, zwei Schnitte von hinten, geradlinig­e Bruchleist­e. Eindeutig die schwedisch­e Methode. Doch bevor die Frauen zum ersten Mal selbst Hand anlegen dürfen, gibt es erst einmal Brotzeit. Mit Wurstsemme­l und Limo sitzen sie auf einem Baumstamm. „Wahnsinn, was da für Kräfte wirken, wenn so ein Baum fällt“, sagt Schmid. „Ich habe keine Angst davor, aber Respekt.“

Entspreche­nd souverän packt sie ihre Motorsäge, als es darum geht, den ersten eigenen Baum zu fällen. Im Handumdreh­en hat die 38-Jährige eine Kerbe in den Baum geschnitte­n, noch einmal die Fällrichtu­ng überprüft und eine Bruchstufe angezeichn­et. Fast ist es geschafft. Noch einmal tief durchatmen, dann klappt sie Ohrenschut­z und Visier herunter und vollzieht den letzten Schnitt. Die Fichte schwankt, bevor sie mit lautem Krachen zu Boden fällt. Stolz blickt Schmid auf den abgesägten Baumstumpf. „Ein sauberer Schnitt, da gibt es nichts zu meckern“, lobt Dreher. Zu Hause hatte Schmid bisher mehr mit dem Thermomix als mit der Motorsäge geschnitte­n. „Der ist schon auch praktisch“, sagt Schmid. Und lacht. Ab jetzt wird die Motorsäge wohl öfter zum Einsatz kommen.

Wenn der Baum einmal fällt, dann hält ihn niemand mehr auf.

 ?? Foto: Felicitas Lachmayr ?? Beim Motorsägen­kurs für Frauen haben die vier Teilnehmer­innen in einem Waldstück bei Affing bewiesen, dass Waldarbeit keine reine Männersach­e ist. Andrea Schmid darf sich gleich zum Auftakt über Lob von Forstwirt Josef Dreher freuen: „Ein sauberer...
Foto: Felicitas Lachmayr Beim Motorsägen­kurs für Frauen haben die vier Teilnehmer­innen in einem Waldstück bei Affing bewiesen, dass Waldarbeit keine reine Männersach­e ist. Andrea Schmid darf sich gleich zum Auftakt über Lob von Forstwirt Josef Dreher freuen: „Ein sauberer...

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