Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Rätselmensch
Premiere Das kurze Leben des Kaspar Hauser stellt einen idealen Opernstoff dar, sagt der Komponist Hans Thomalla. Das Theater Augsburg bringt dessen Schöpfung auf die Bühne
Dieser Junge stellte seine Mitmenschen vor ein Rätsel: Woher kam er? War er das Opfer einer Verschwörung oder ein Hochstapler? Sein Wortschatz war begrenzt, ein Zettel wies ihn als Kaspar aus. Dort stand auch, dass sein Vater ein Reiter eines Nürnbergers Regiments gewesen sein soll. In Nürnberg kam er erst einmal zur Polizei. Dort zeigte er, dass er den Namen Kaspar Hauser schreiben konnte. Bis heute ist das Rätsel um seine Herkunft nicht gelöst.
Die Geschichte hat schon viele Künstler inspiriert. Schon kurz nach seinem Tod 1833 in Ansbach gab es in Frankreich ein Melodram nach ihm benannt auf der Bühne zu sehen. Es gibt Gedichte, Romane, Filme, die dem Phänomen Kaspar Hauser nachgingen. Eine der jüngsten Schöpfungen ist eine Oper des Komponisten Hans Thomalla. Sie ist vergangenes Jahr in Freiburg uraufgeführt worden und nun am Sonntag erstmals im Theater Augsburg zu sehen – aufgeführt im Textilund Industriemuseum.
In Augsburg wird diese Oper zum zweiten Mal nach Freiburg auf die Bühne gebracht. Der Komponist und Schöpfer nimmt an der Produktion großen Anteil. In der letzten Probenwoche ist er von seinem Wohnort Chicago angereist, beantwortet Fragen der Sänger, Musiker und des Dirigenten Lancelot Fuhry. Thomalla, geboren 1975 in Bonn, hat nicht nur die Musik geschrieben, sondern auch das Libretto. Dafür hat er unter anderem in alten Gerichtsprotokollen recherchiert. Und bei den Szenen, die dort beschrieben sind, hatte er sofort musikalische Themen im Kopf. „Kaspar Hauser ist ein idealer Opernstoff“, sagt Thomalla. Es gebe so viel Nicht- sprachliches in der Geschichte, das sich perfekt in und mit der Musik darstellen lasse. Zum Beispiel wird, wie es von Kaspar Hauser überliefert ist, die Titelfigur anfangs komische und seltsame Laute von sich geben.
Beim Komponieren der Musik waren Thomalla vor allem die Sänger wichtig. „Für sie habe ich die Opern geschrieben.“Für die Freiburger Inszenierung wusste Thomalla schon 2012, als er mit dem Werk so richtig anfing, dass der Countertenor Xavier Sabata die Titelrolle singen würde. Ihm hat er die Figur im Anschluss förmlich auf den Leib geschrieben. In ihm hat er auch einen Sänger gefunden, der ein breites Spektrum beherrsche: von der klassisch-romantischen Musik bis zu den Geräuschen, die die Neue Musik Sängern manchmal abfordert. Auch in Augsburg wird Sabata als Kaspar Hauser auftreten. Für den Regisseur wiederholt sich da im Ensemble, was auf der Bühne zu sehen ist: „Ein Fremder kommt von außen dazu“, sagt Thomalla.
Für das Rätsel um die Herkunft Kaspar Hausers wird in Thomallas Oper kein Lösungsvorschlag gemacht. Was Thomalla dafür vielmehr interessiert hat, ist die Reaktion der Gesellschaft auf den Jungen. Wie sind die Menschen mit ihm umgegangen? Was wollten sie von ihm? Wer hat ihm zugehört? Und wie lange hat man ihm zugehört? Nur fünfeinhalb Jahre nach seinem Auftauchen in Nürnberg starb Kaspar Hauser in Ansbach, tödlich verletzt durch eine Stichwunde. Auf seinem Sterbebett behauptete Hauser, Opfer eines Attentäters geworden zu sein; es gab aber auch Stimmen, die sagten, dass er sich die Verletzung selbst zugefügt habe. Auch dieser Tod ist bis heute nicht geklärt. Ein einziges Rätsel, dieses Schicksal.