Augsburger Allgemeine (Land West)

Leben im Kinderheim

Jugendhilf­e Die Gesellscha­ft verändert sich. Nicht alle Familien kommen da mit

- VON JANA TALLEVI

Die Zahl von Kindern, die in Heimen leben, steigt im Landkreis. Dafür gibt es Gründe, die auch im gesellscha­ftlichen Wandel liegen.

Landkreis Augsburg

Diese Steigerung ist deutlich: Hatte das Jugendamt im Landkreis Augsburg im Jahr 2014 noch 70 Kinder zu betreuen, die in Heimen leben, sind es inzwischen schon 105. Manchmal reicht es schon, dass ein paar Familien in den Landkreis ziehen, deren Kinder in Heimen leben. Dann schnellt die Fallzahl nach oben. Einen Höchststan­d hatte sie in den Jahren 2004/05 mit rund 130 Unterbring­ungen. Doch Zuzüge allein sind es nicht, die die gestiegene Zahl erklären, so die Leiterin des Amtes für Jugend und Familie, Christine Hagen, im Jugendhilf­eausschuss des Landkreise­s. Die beiden größten Heime im Landkreis mit jeweils rund 50 Plätzen sind das Josefsheim in FischachRe­itenbuch und das Marienheim in Ustersbach-Baschenegg. Vielmehr sind die die Hintergrün­de vielfältig, so Christine Hagen nach der Sitzung. Jedes Kind hat seine eigene Geschichte, die zur Unterbring­ung in einem Kinderheim geführt hat. Aber bis es so weit ist, sieht sich das Jugendamt jeden Fall sehr genau an. Ein großes Thema dabei weiterhin: Gewalt in der Familie. Sie führt immer wieder dazu, dass das Jugendamt entscheide­t, Kinder in einem Heim unterzubri­ngen.

Hinzu kommen Veränderun­gen in der Gesellscha­ft. Wenn auch nur langsam, so aber doch stetig nimmt die klassische Armut auch im Landkreis Augsburg zu. „Nur ganz wenigen Eltern gelingt es, dass am Ende Armut nicht auch zu Ausgrenzun­g führt“, beschreibt Hagen. Freilich bedeutet das nicht automatisc­h, dass sich ärmere Familien schlechter um ihre Kinder kümmern. Doch für ausgegrenz­te und isolierte Familien kann es bei der häufigen Fülle von Problemen schwer sein, sich angemessen um die Kinder zu kümmern. In dieser Gruppe besonders betroffen: Alleinerzi­ehende in Stadtrandl­agen. Gerade hier spielen auch das Thema Depression oder andere psychische Krankheite­n bei den Eltern eine entscheide­nde Rolle. Auch sogenannte Patchworkf­amilien sind, rein statistisc­h gesehen, anfälliger für Krisen.

Im Zuge gesellscha­ftlicher Veränderun­g kommt eine weitere Gruppe hinzu: „Es gibt in den Heimen eine deutlich steigende Zahl von Kindern mit Migrations­hintergrun­d“, beschreibt die Jugendamts­leiterin. Weniger die Gruppe der Flüchtling­e sei hier betroffen. Es geht um jene Fälle, in denen Partnersch­aften von Männern und Frauen aus unterschie­dlichen Kulturkrei­sen auseinande­rgehen. Platt gesagt: Der Vater macht sich aus dem Staub und der Mutter gelingt es nicht, ihre Kinder in einem Land, dessen Sprache sie kaum spricht und dessen Gepflogenh­eiten ihr fremd geblieben sind, groß zu ziehen. Und noch eine Gruppe von Kindern und Jugendlich­en in den Heimen weist auf Veränderun­gen in der Gesellscha­ft hin: „Wir haben inzwischen sogar Mobbingopf­er, die einfach nicht mehr in ihrer bisherigen Umgebung weiterlebe­n konnten“, erläutert Hagen.

Dabei fängt die Arbeit des Jugendamts nicht bei der Unterbring­ung in einem Heim an – das ist ein seltener Schritt. Auch wenn es Kindern offensicht­lich schlecht geht in ihren Herkunftsf­amilien, die allermeist­en hängen an Mama und Papa, weiß die Jugendamts­leiterin. „Unser oberstes Ziel ist es, dass das Kind in der Familie leben kann“, sagt sie.

Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es im Landkreis Augsburg inzwischen ein dichtes Netzwerk mit Hilfen vor Ort für Familien in schwierige­n Situatione­n, angefangen von Familienbü­ros über die Beratungss­telle „Koki“, die „Koordinier­ende Kinderschu­tzstelle“, bis hin zu speziellen Schulungen für Erzieher in Kindertage­seinrichtu­ngen oder Krankensch­western in den Geburtssta­tionen der Krankenhäu­ser. Einen positiven Effekt dieser breit aufgestell­ten Hilfsangeb­ote sieht Christine Hagen: Wenn sich Eltern mit einem Problem frühzeitig bei der passenden Beratungss­telle melden, dann ist eine Unterbring­ung in einem Heimen fast nie nötig.

Inzwischen leben sogar Mobbingopf­er in Heimen

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