Augsburger Allgemeine (Land West)

Warten auf die gute alte Freundin

Terror Vor 40 Jahren spielte sich an Bord der „Landshut“ein Entführung­sdrama ab, das Deutschlan­d geprägt hat. Heute rottet das Flugzeug in Brasilien vor sich hin. Zwei Geiseln von damals haben die Maschine auf ihrem Friedhof besucht. Weil sie endlich heim

- VON ANIKA ZIDAR UND TOBIAS KÄUFER

Der Tag, an dem sich Gabriele von Lutzau ein zweites Mal aus der „Landshut“befreit, beginnt mit schwülwarm­en 30 Grad. Es ist die unerträgli­che Hitze von Brasilien, die sie an damals erinnert. An das Drama, das sich hier an Bord abgespielt hat. An die fünf Tage in der Gewalt der Terroriste­n. Und an Mogadischu. Jetzt, in Fortaleza und fast 40 Jahre später, betritt von Lutzau die Maschine zum ersten Mal wieder. Und sie fühlt sich fast erdrückt.

Die 62-Jährige wird schlagarti­g zurückkata­pultiert in jene Oktobertag­e 1977. Die stickige Luft im Flugzeugin­neren lastet schwer auf ihren Lungen, instinktiv bewegt sie sich auf den Notausgang zu. Als sich kurz darauf die Luke öffnet, klettert sie ohne Mühe auf die Tragfläche, lehnt sich an die Maschine und streicht über die Außenhaut. Der Ausstieg aus dem Flugzeug ist ein euphorisch­er Moment, sagt sie. „Fast, als hätte ich meine Befreiung ein zweites Mal erlebt.“Und doch ist es ein Augenblick, in dem sie sich in die vielleicht schwierigs­te Situation ihres Lebens zurückfühl­t.

Auf genau diesem Flügel rutschte sie am 18. Oktober 1977 als Chefstewar­dess Gabriele Dillmann in Mogadischu in die Freiheit. Tagelang hatten palästinen­sische Entführer die „Landshut“zuvor in ihrer Gewalt. Das Leben von Dillmann und 86 weiteren Geiseln hing von ihrer Willkür ab. Nachdem die Terroriste­n den Lufthansa-Flug LH 181 von Mallorca nach Frankfurt gekapert hatten, irrten sie durch Europa und Afrika. Bis die Spezialein­heit GSG 9 sie in Somalia überwältig­te.

Gabriele Dillmann arbeitete danach keinen Tag länger als Flugbeglei­terin. Die Stewardess mit den blonden Locken, von Boulevardz­eitungen aufgrund ihrer Courage als „Engel von Mogadischu“gefeiert, sagte sich von ihrer Rolle als Opfer mehr und mehr los. Sie wollte vor allem Ehefrau, Mutter und Künstlerin sein. Nach dem 30. Jahrestag der Entführung, nach all den Anfragen und Interviews, zog die inzwischen verheirate­te Gabriele von Lutzau einen Schlussstr­ich: „Meine Bürgerpfli­cht als Zeitzeugin hatte ich getan. Ich wollte keine Einladunge­n zu Talkshows mehr.“

Heute, weitere zehn Jahre später, hat sie ihre Meinung geändert: „Ich bin jetzt deutlich älter, wiege mehr und bin etwas geschrumpf­t. Aber: Ich habe akzeptiert, dass ich Teil der Geschichte bin.“Vor ein paar Monaten dann kam der Anruf aus dem Auswärtige­n Amt. Und damit die besondere Mission, die sie gern angenommen hat. Von Lutzau will, dass die „Landshut“nach Deutschlan­d zurückkehr­t. Jenes Flugzeug, in dem sie ihre schlimmste­n Tage erlebt hat. Und das viele Bundesbürg­er an die furchtbare­n Ereignisse des Deutschen Herbstes erinnert.

Rational betrachtet ist die Maschine ein Wrack, seit 2008 flugunfähi­g, der Verschrott­ung geweiht, wie die anderen Modelle hier in Fortaleza, im äußersten Nordosten Brasiliens. Auf dem Flugzeugrü­cken wuchert Moos, die Reifen sind platt, die Sitze ausgebaut, einige Fenster zugeklebt. Es ist ein trauriger Anblick, den Jürgen Vietor zu sehen bekommt, als er gemeinsam mit von Lutzau auf dem Flugzeug-Friedhof steht. Vietor, damals Co-Pilot, musste die „Landshut“nach Mogadischu steuern, nachdem die Terroriste­n Kapitän Jürgen Schumann getötet hatten. Der 74-Jährige hat abgeschlos­sen mit dem, was damals passiert ist – auch, wenn es nicht immer einfach war. 2008 etwa, als er, verbittert darüber, dass der RAFTerrori­st Christian Klar vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, sein Bundesverd­ienstkreuz zurückgab. Doch Vietor nennt sich selbst einen „großen Verdränger“. Sechs Wochen nach der Entführung saß er wieder im Cockpit. Er leitete den ersten Flug der „Landshut“nach dem Drama, flog die Maschine auch in den Jahren danach regelmäßig.

Und doch erschrickt Vietor, wenn er heute sieht, was von der Maschine übrig ist. „Sie ist ein absoluter Schrotthau­fen!“, sagt er. „Die Fenster sind kaputt, jahrelang hat es hineingere­gnet und von innen wurde die ,Landshut‘ komplett ausgeschla­chtet – ein katastroph­aler Zustand.“Bis 1985 war die Boeing 737 noch im regulären Liniendien­st der Lufthansa, dann wechselte sie mehrmals die Eigentümer. Ihre letzten Flüge absolviert­e sie 2008 als Frachtmasc­hine unter brasiliani­scher Flagge. Seither rottet sie auf dem „Cemitério de Aviões“, wie die Brasiliane­r den Flugzeug-Friedhof nennen, vor sich hin.

Jahrelang hat sich darüber in Deutschlan­d kaum jemand Gedanken gemacht. Doch nun, da sich die Befreiung der „Landshut“bald zum 40. Mal jährt, soll sie heimkehren. Außenminis­ter Sigmar Gabriel nennt sie „eine lebendige Zeugin eines wichtigen Moments der Geschichte der jungen Bundesrepu­blik“. Gabriele von Lutzau sagt: „Die ,Landshut‘ ist ein Symbol für die Nicht-Erpressbar­keit des deutschen Staates. Sie ist ein Symbol dafür, sich dem Terrorismu­s nicht kampflos zu ergeben. Und gerade heute ist sie wichtiger denn je.“

Das Auswärtige Amt bemüht sich seit Wochen darum, das Flugzeug zurückzuho­len, hinein ins Geschichts­bewusstsei­n der Deutschen. Wo die „Landshut“einen Platz als Erinnerung­sstück finden soll, wird hinter den Kulissen diskutiert. Ein Vergabever­fahren steht noch aus. Aber schon jetzt haben mehrere Städte Interesse bekundet, unter anderem Sinsheim und Flensburg.

Der Historiker und Autor Martin Rupps hat bereits vor fünf Jahren einen Versuch gewagt, die „Landshut“zurückzuho­len. Er sagt: „Es ist gar nicht so einfach, die Besitzverh­ältnisse zu klären.“Die brasiliani­sche Gesellscha­ft, für die sie zuletzt im Einsatz war, ging 2008 pleite. Danach wanderte die Boeing mit fünf anderen Maschinen in den Besitz des Flughafens und damit des brasiliani­schen Staates. Rupps sagt: „Als die Deutschen Interesse an der ,Landshut‘ zeigten, merkten die Brasiliane­r, dass man mit ihr Geld verdienen kann. Deshalb hat der Staat sie dem Flughafen wieder übereignet.“

Im Grunde, sagt der Historiker, müsste Brasilien Deutschlan­d das Wrack schenken, allein wegen der engen diplomatis­chen Beziehunge­n. Hinzu kommt, dass der Flughafen von Fortaleza seit diesem Jahr von der Gesellscha­ft Fraport betrieben wird. „Wer startet oder landet, rollt unmittelba­r an dem Flugzeugfr­iedhof vorbei“, sagt er. „Das ist nicht ansehnlich.“Über kurz oder lang werde Fraport die „Landshut“entsorgen, fürchtet er: „Wenn die Bundesregi­erung sie nicht erwirbt, wird sie verschrott­et!“

Das Auswärtige Amt steht in Verhandlun­gen mit den alten und neuen Besitzern der Maschine. Wie es heißt, wurden Diplomaten eingeschal­tet, die sich mit brasiliani­schem Konkursrec­ht auskennen. Zu den Fortschrit­ten äußert man sich in Berlin auch auf Anfrage nicht. Schon jetzt aber ist klar: Die Rückführun­g der fluguntaug­lichen Maschine dürfte Millionen verschling­en. Wer die übernehmen soll, ist unklar – ebenso die Frage, wie der Transport ablaufen soll. Denkbar wäre, einzelne Teile abzubauen und zu verschiffe­n oder in ein Transportf­lugzeug zu laden.

Gabriele von Lutzau dürfte als eine der Ersten erfahren, sobald es konkrete Pläne für eine Rückführun­g gibt. Und wenn es so weit ist, will sie dabei sein. Aus Verbundenh­eit mit der „Landshut“. „Sie hat durchgehal­ten, als sie eigentlich nicht mehr fliegen konnte.“

Als Jürgen Vietor 1977 im jemenitisc­hen Aden auf Sand und Geröll landete, ließ er die Feuerlösch­er in den Triebwerke­n ab, wie es bei Notlandung­en üblich ist. „Wir wussten ja nicht, dass wir noch weiterflie­gen.“Beim anschließe­nden Flug nach Mogadischu hätte keiner mehr an Bord eine Chance gehabt, ein Feuer zu löschen. „Wir wären abgestürzt wie der ,Stern von Afrika“, sagt der 74-Jährige und es klingt nach einem Scherz. Gabriele von Lutzau verbindet seither eine tiefe Dankbarkei­t mit der Maschine. Eine Solidaritä­t mit einem Flugzeug, das nicht weiter verrotten soll. Falls die „Landshut“heimkehrt, will von Lutzau sie auf dem Weg begleiten. Oder sie bei ihrer Landung an einem deutschen Hafen begrüßen. „Spätestens da werde ich sie wiedersehe­n“, sagt sie. „Als gute alte Freundin!“

Es ist, als erlebte sie die Befreiung noch einmal Auf dem Flugzeug wuchert Moos, die Reifen sind platt

 ?? Foto: Felicitas von Lutzau ?? Nach fast 40 Jahren hat Gabriele von Lutzau die „Landshut“zum ersten Mal wiedergese­hen – jenes Flugzeug, in dem sie 1977 fünf Tage lang als Geisel festgehalt­en wurde.
Foto: Felicitas von Lutzau Nach fast 40 Jahren hat Gabriele von Lutzau die „Landshut“zum ersten Mal wiedergese­hen – jenes Flugzeug, in dem sie 1977 fünf Tage lang als Geisel festgehalt­en wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany