Augsburger Allgemeine (Land West)

Netanjahu brüskiert Gabriel

Israel Regierungs­chef weigert sich, den deutschen Außenminis­ter zu empfangen, weil dieser auch mit Menschenre­chtlern spricht. Der SPD-Politiker trägt es mit Fassung

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Der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu lässt seinen Gast aus Deutschlan­d lange warten, bis er für Klarheit sorgt. Erst gut zwei Stunden vor dem geplanten Treffen teilt er Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) über die deutsche Botschaft mit, dass er ihn nicht empfangen möchte. Gabriel wusste zwar schon vorher von der Absage – aber nur aus den israelisch­en Medien, wie er beteuert.

Der Grund für die in der internatio­nalen Politik absolut außergewöh­nliche Brüskierun­g: Gabriel hat am Dienstagna­chmittag noch eine andere Verabredun­g, die ihm auch sehr wichtig ist. Er trifft eine Handvoll Friedensak­tivisten, die sich kritisch mit der hoch umstritten­en Siedlungsp­olitik Israels in den palästinen­sischen Gebieten auseinande­rsetzen. „Breaking the Silence“(„Die Stille brechen“) etwa befragt Militärang­ehörige zu ihren Erlebnisse­n im Westjordan­land und Gazastreif­en und veröffentl­icht die Aussagen anonym. „Betselem“dokumentie­rt unter anderem Gewalt von Siedlern gegen Palästinen­ser und die Zerstörung von Häusern von Palästinen­sern.

Dass Treffen deutscher Minister mit Regierungs­kritikern in China, Russland oder der Türkei bei den Gastgebern für Unmut sorgen, kennt man. Aber Israel? Die scharfe Reaktion Netanjahus ist erst einmal irritieren­d. Ganz überrasche­nd trifft sie Gabriel aber nicht. Es gab Warnsignal­e. Der belgische Ministerpr­äsident Michel hatte „Breaking the Si- lence“und „Betselem“im Februar ebenfalls getroffen – und bekam den ganzen Zorn Netanjahus zu spüren. Der Ministerpr­äsident ließ den belgischen Botschafte­r ins Außenminis­terium einbestell­en und erklärte selbst, die belgische Regierung müsse entscheide­n, „ob sie ihre anti-israelisch­e Linie“fortsetzen wolle.

Gabriel hält die jetzige Absage in erster Linie für ein innerisrae­lisches Problem. „Ich denke, dass wir jetzt hier nicht zum Spielball der Innenpolit­ik Israels werden dürfen“, sagt er in einem ersten Kommentar zu der Abfuhr Netanjahus.

Das Arbeitskli­ma für regierungs­kritische Organisati­onen hat sich nach deren eigener Aussage in den vergangene­n eineinhalb Jahren deutlich verschärft. Sie werden immer wieder als Nestbeschm­utzer und Verräter gebrandmar­kt. Bereits Ende 2015 verboten der israelisch­e Erziehungs- und der Verteidigu­ngsministe­r „Breaking the Silence“die Zusammenar­beit mit Schulen und dem Militär.

Im Sommer 2016 verabschie­dete das israelisch­e Parlament das umstritten­e „Transparen­z“-Gesetz. Danach müssen alle Organisati­onen in Israel, die mehr als die Hälfte ihres Geldes von ausländisc­hen Regierunge­n erhalten, dies in allen ihren Veröffentl­ichungen ausweisen. Kritiker sagen, das Gesetz richtet sich vor allem gegen linke regierungs­kritische Organisati­onen. Rechte Gruppen werden oft von Privatspen­dern unterstütz­t und müssen die Zuwendunge­n nicht offenlegen.

Das eigentlich­e Ziel der GabrielRei­se, bei seinem Antrittsbe­such für eine Wiederbele­bung des NahostFrie­densprozes­ses zu werben, ist mit dem Eklat gescheiter­t. Trotzdem hält er das nicht für eine „Katastroph­e“. Der Außenminis­ter ist ein Freund Israels, mit einer jahrzehnte­langen sehr persönlich­en und sehr freundscha­ftlichen Beziehung zu dem Land. Er ist aber auch der Meinung, dass man sich unter Freunden kritisch die Meinung sagen muss.

Die Bundesregi­erung hat die israelisch­e Siedlungsp­olitik in den besetzten Gebieten und im annektiert­en Ostjerusal­em zuletzt außergewöh­nlich scharf kritisiert und die für Mai geplanten Regierungs­konsultati­onen abgesagt. Gabriel hofft dennoch, dass die deutsch-israelisch­en Beziehunge­n nicht nachhaltig geschädigt werden. „Das ist ja nicht der Abbruch der diplomatis­chen Beziehunge­n“, sagt er.

Der nächste hochrangig­e Besuch aus Deutschlan­d in Israel ist bereits geplant. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier kommt Anfang Mai nach Jerusalem. Ob er Menschenre­chtsorgani­sationen treffen will, ist noch nicht bekannt.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Ihm schwante schon so etwas: Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel wusste, dass die israelisch­e Regierung nicht erfreut sein würde, wenn er auch mit Menschenre­chts gruppen spricht. Aber er machte keinen Rückzieher und nahm in Kauf, dass ihn Premier...

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