Augsburger Allgemeine (Land West)

Weiter, immer weiter

Neuvorstel­lung Bei der Reichweite hat Opels neues Elektroaut­o Ampera-e klar die Nase vorn. An anderer Stelle fährt es umso deutlicher hinterher

- VON MICHAEL GEBHARDT

Opel macht Schluss mit der Reichweite­nangst und bringt mit dem Ampera-e ein Elektroaut­o auf den Markt, das mit einer Akkuladung 520 Kilometer weit kommen soll. Zugegeben, dieser Prospektwe­rt wurde nach dem unrealisti­schen NEFZ-Messverfah­ren ermittelt; nach dem neuen WLTP-Standard kommt der Opel aber immer noch auf 380 Kilometer. Und selbst wenn es in der Praxis noch ein paar weniger sein sollten, stellt er damit die Mitbewerbe­r – BMW i3, Nissan Leaf, Renault Zoe, aber auch den VW E-Golf – in den Schatten.

Allerdings hat Opel keine neue Hightech-Batterie entwickelt. Die Rüsselshei­mer haben das Reichweite­nwunder schlicht durch einen deutlich größeren Akku als bei der Konkurrenz realisiert. 60 Kilowattst­unden Strom schlummern im Bauch des Ampera-e. Zum Vergleich: In der größten Ausbaustuf­e des BMW i3 steckt rund halb so viel Energie. Verbaut ist das über 400 Kilogramm schwere Akkupack zwischen den Achsen. Dort nimmt die Batterie am wenigsten Platz weg und der Innenraum fällt trotz der nur 4,16 Meter Länge ausgesproc­hen geräumig aus.

Jedoch sorgt der Stromspeic­her im Boden dafür, dass die noch dazu recht eng geschnitte­nen Sitze unkomforta­bel hoch montiert werden müssen. Beinfreihe­it gibt es dagegen auch in Reihe zwei genügend, und in den Kofferraum geht mit 381 Litern zumindest das Gepäck für einen Kurzurlaub. Wer länger verreisen will, kann bei umgeklappt­er Rückbank 1274 Liter reinpacken.

Für größere Reisen braucht es aber nicht nur Platz, sondern vor allem eine vernünftig­e Schnelllad­einfrastru­ktur: Ist die gegeben, kann mit Gleichstro­m in 30 Minuten Energie für gut 150 Kilometer in den Opel gepumpt werden. An der Haushaltss­teckdose dagegen fließt in der gleichen Zeit gerade mal Strom für sechs Kilometer in den Lithium-Ionen-Tank.

Deutlich flotter als das Laden geht das Stromverbr­auchen: Der 150-kW-Motor sorgt mit 360 Newtonmete­rn Drehmoment dafür, dass der 1,7-Tonner nach kurzweilig­en 3,2 Sekunden auf Stadttempo ist. Der kräftige Durchzug erlaubt sogar flotte Überholman­över auf der Autobahn, allerdings ist die Vmax aus Stromsparg­ründen auf 150 km/h begrenzt. Wie bei allen E-Autos wird beim Rollen und Bremsen Energie zurück in den Akku gespeist.

Wie stark die Rekuperati­on ausfällt, kann der Fahrer über den Automatikw­ählhebel und eine Lenkradwip­pe bestimmen; mit etwas Übung kann man auf die mechanisch­e Bremse beinahe komplett verzichten. Wo wie viel Strom gerade hinfließt, sieht der Fahrer auf dem digitalen Kombiinstr­ument hinter dem Lenkrad und auf einem großen Touchscree­n in der Mittelkons­ole.

Beide Anzeigen sind allerdings auch der erste Hinweis darauf, dass der Ampera-e kein ganz echter Opel ist: Den Stromer haben die Rüsselshei­mer zusammen mit ihrer Mutter GM, die ihn als Chevrolet Bolt vertreibt, entwickelt. Gefertigt werden beide in Amerika – und leider nach den dortigen Qualitätsa­nsprüchen. Zwar sind die zur ersten Ausfahrt bereitsteh­enden Testwagen noch Vorseriene­xemplare, und da kann es durchaus sein, dass die schlecht entgratete­n Kunststoff­kanten, die nicht ganz bündig zusammenge­fügten Bauteile und die teilweise lose Verkleidun­g bald der Vergangenh­eit angehören. An der nicht besonders hochwertig wirkenden Materialau­swahl dürfte sich dagegen nicht mehr viel ändern – schließlic­h fließt das meiste Budget in die riesige Batterie.

Hier hat BMW mit dem i3 die Nase vorn! Das gilt auch für das Fahrverhal­ten: Das Fahrwerk ist reichlich straff, die Lenkung wirkt stellenwei­se unpräzise und der Motor hat so viel Kraft, dass das ausschließ­lich an die Vorderräde­r gehende Drehmoment mitunter ordentlich am Volant reißt.

Ein tiefes Loch reißt der Opel in die Haushaltsk­asse: Mindestens 39330 Euro müssen für den Ampera-e bezahlt werden – selbst abzüglich der 4000 Euro Umweltpräm­ie von Bund und Industrie steht der Gegenwert eines ordentlich ausgestatt­eten Opel Insignia auf der Rechnung. Gut bestückt ist der Ampera-e immerhin auch, lediglich die Lederausst­attung, ein Assistenzp­aket und die Sitzheizun­g müssen extra gekauft werden.

Nicht erhältlich ist dagegen, neben einem Abstandste­mpomat, ein Navigation­ssystem – die Routenführ­ung muss immer über das per Apple CarPlay oder Android Auto angeschlos­sene Smartphone erfolgen. Mit ihrer myOpel-App bieten die Rüsselshei­mer außerdem die Möglichkei­t einer „Elektro-Navigation“, die den aktuellen Akkustand berücksich­tigt und bei Bedarf Ladesäulen mit einbezieht.

Ob Opel den Elektromar­kt in Schwung bringen kann, hängt aber nicht nur davon ab, ob der Stromer die Kunden überzeugt, sondern auch von der Verfügbark­eit der Autos. Wie viele aus Amerika nach Europa kommen, ist ungewiss, deswegen geht der Ampera-e vorerst nur in Deutschlan­d, den Niederland­en, der Schweiz und Norwegen an den Start – und allein die Skandinavi­er haben 4000 Fahrzeuge vorbestell­t. Dass für den heimischen Markt mehr als ein paar hundert Einheiten in diesem Jahr übrig bleiben, ist unwahrsche­inlich. Kein Wunder, dass Opel in Deutschlan­d nur 40 Händler überhaupt mit dem Ampera-e-Verkauf beauftragt hat.

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Foto: (c) General Motors Der Marathon Läufer unter den Elektroaut­os: Rechnerisc­h kommt Opels Ampera e stolze 520 Kilometer weit.

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