Augsburger Allgemeine (Land West)
Auf den Spuren des Kuriers des Zaren
Extremradeln Der Ziemetshauser Raimund Kraus möchte 12 000 Kilometer quer durch Sibirien bis nach Wladiwostok radeln. Wie er sich auf diese Herausforderung vorbereitet
Ziemetshausen
„Wie sieht es mit der Verbindung nach Irkutsk aus?“„Seit gestern ist die transsibirische Telegrafenlinie gestört. Irkutsk meldet sich nicht mehr.“Eine gestörte Telegrafenverbindung nach Irkutsk am Baikalsee? Das ist schon eine Weile her. Jules Verne schildert diese Szene mit einem nervösen Zar Alexander II. in seinem 1876 erschienenen Roman „Der Kurier des Zaren“. Lichtjahre scheinen uns von dieser Zeit zu trennen. Doch Sibirien empfinden gerade Betrachter des Westens auch heute noch als etwas geradezu Unfassbares, Undurchdringliches. Zar Alexander II. schickt in Jules Vernes Roman seinen Kurier Michael Strogoff durch Sibirien. Kasan, Omsk, Krasnojarsk, Irkutsk sind die Stationen auf seinem Weg nach Osten. 141 Jahre später ist ein Ziemetshauser Radler auf den Spuren von Jules Vernes Kurier unterwegs. Extremradler Raimund Kraus, der aus dem Dinkelscherber Ortsteil Anried zugezogen ist, startet am 6. Mai in Ziemetshausen. Pfarrer Karl B. Thoma und Pater Gerhard Löffler erteilen ihm den Reisesegen. Das Ziel von Raimund Kraus: Sibirien. Und dann noch weiter als einst der Kurier des Zaren. Kraus möchte nach Wladiwostok am Pazifik, rund 12 000 Kilometer hat er sich vorgenommen.
„Peter Strogoff, der Vater des Kuriers, hatte schon 39 Bären erlegt, als der elfjährige Michael ihn zum ersten Mal auf die Bärenjagd begleitete“, können wir bei Jules Verne nachlesen. Bären, sibirische Tiger? Es gibt kaum ein Gespräch, in dem Kraus nicht auf die „sibirischen Gefahren“angesprochen wird. „Wölfe gibt es da ja auch noch“, sagt er lachend. Aber er weiß auch: Bären, Tiger oder auch Wölfe sind in der Regel scheu. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass sie Menschen regelrecht über den Weg laufen und es zu heiklen Situationen kommt. Viel höher sind da die Gefahren im Straßenverkehr, etwa durch vorbeifahrende Lkw.
Bei der Einschätzung von Gefahren profitiert Raimund Kraus von seiner enormen Erfahrung, die er bei vielen langen Radtouren gesammelt hat. Der heute 54-Jährige (geboren ist er in Anried bei Dinkelscherben) begann bereits mit 29 Jahren längere Touren zu radeln. Bis zuletzt ist er weit über 200000 Kilometer durch rund 60 Länder in Afrika, Amerika und Asien geradelt. Seine bislang längste Tour führte ihn 2009/2010 in Nordsüdrichtung quer durch Afrika.
Nun sind es „nur 12000 Kilometer“, erklärt er mit einem hintersinnigen Lächeln. Es ist nach der Afrika-Unternehmung die zweitlängste Strecke. Und ähnlich wie in Afrika ist auch bei der Fahrt nach Osten die schwer einschätzbare politische Lage gewissermaßen ein ständiger Begleiter. In Sachen Fahrrad vertraut Kraus auf einen bei vielen Touren bewährten Begleiter. Klassischer Alurahmen, 14-Gang-Nabenschaltung, 26-Zoll-Bereifung. Erneut verzichtet er am Rad bewusst auf Hochtechnologie. Aber er weiß, dass er sein Rad gegebenenfalls in einer einfachen Hinterhof- werkstatt reparieren lassen kann.
Ladegerät am Fahrrad sammelt Sonnenenergie
Bei der Orientierung hat sich Kraus bislang nahezu ausschließlich auf klassische Straßenkarten verlassen. Nun möchte er auf seinem Smartphone verstärkt die Möglichkeit digitaler Offline-Karten nutzen. Für die „Elektronik an Bord“nutzt Kraus ein spezielles Ladegerät. Am Rad hängend, wird es selbst durch die Energie der Sonne aufgeladen. Und es kann diese Energie dann an ein angeschlossenes Smartphone oder ähnliche Geräte weitergeben. Die Technik entwickelt sich rasant weiter. Doch die Begegnungen mit vielen Menschen, das Eintauchen in fremde Kulturen und Länder bleiben für Kraus zeitlose Erlebnisse.
Kraus ist mit rund 20 Kilogramm Gepäck unterwegs, dabei hat er wieder sein Zelt. Übernachten im Zelt oder auch in einfachen Hotelunterkünften: Das wird für ihn über viele Wochen das Tagesfinale sein. Kraus fährt meist rund 100 bis 150 Kilometer täglich, entsprechende Distanzen fährt er auch zu Hause regelEuropa, mäßig als Training. Nach dem Start der Tour in Ziemetshausen fährt Kraus über Nürnberg, Leipzig und möglicherweise Berlin nach Osten. Dann führt die Tour durch Polen und Litauen nach Russland hinein. Über Omsk, Nowosibirsk und Irkutsk am Baikalsee geht es nach Wladiwostok am Pazifik. An Kosten für Verpflegung und Unterkunft hat Kraus rund 3000 Euro einkalkuliert. Sich an Automaten mit Geld zu versorgen – das ist inzwischen in Russland problemlos möglich.
So ist Raimund Kraus zuversichtlich, dass er nicht so turbulente Abenteuer überstehen muss wie Jules Vernes Kurier des Zaren. Und nach seiner Rückkehr steht noch ein besonderes Ereignis an: die kirchliche Trauung mit seiner Frau Maria Wiedemann.