Augsburger Allgemeine (Land West)

Alles blickt auf Lindner

Hintergrun­d Für viele war die FDP noch vor dreieinhal­b Jahren mausetot. Dass sie jetzt mit Chancen in den Wahlkampf starten kann, hat viel mit dem Mann an der Parteispit­ze zu tun

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Berlin

Es war nicht die erwartete „One-Man-Show“– fast demonstrat­iv teilte FDP-Chef Christian Lindner in Berlin das Rampenlich­t mit seinem Spitzenper­sonal. Und doch war es mehr denn je sein Parteitag. Nach den drei Tagen in einem aufpoliert­en früheren Postbahnho­f ist klar: Das Schicksal der Liberalen ist aufs Engste verknüpft mit der Person Lindner, mit seinem politische­n Geschick und nicht zuletzt seiner Energie. Er hat der FDP nach dem Wahlfiasko von 2013 „Selbstbewu­sstsein mit Demut“verordnet, wie er in einer temperamen­tvollen Rede beim Bundespart­eitag betonte. Und auch gebührende Distanz zu den Mitbewerbe­rn.

Die Frage ist, ob sich diese Haltung in einem für die FDP aussichtsr­eichen Wahljahr 2017 angesichts diverser Bündnis-Avancen durchhalte­n lässt. Der geschmeidi­ge Lindner-Kurs zwischen oder neben Union, SPD und Grünen, ohne jede Koalitions­festlegung – er birgt auch Risiken.

Das wurde etwa am Samstagabe­nd in der Programmde­batte über innere Sicherheit, Einwanderu­ng und Integratio­n deutlich. Zuerst riss die FDP-Ikone Sabine Leutheusse­rSchnarren­berger, 65, ihren Partei- vorsitzend­en, 38, aus einer kurzen Ruhephase, als sie gegen den offizielle­n Kurs einen Abschiebes­topp für Afghanista­n ins Wahlprogra­mm drücken wollte.

Lindner konnte den auch von Junglibera­len unterstütz­ten Vorstoß unter Hinweis auf einen funktionie­renden Rechtsstaa­t Deutschlan­d gerade noch abbügeln. Der Nachwuchs gab auch Kontra in der Diskussion über das neue WahlkampfT­opthema Doppelpass – wohl aus Furcht vor zu viel Anbiederun­g an CDU/CSU-Positionen. Eine von Lindner ins Programm geschriebe­ne Verschärfu­ng bei der doppelten Staatsbürg­erschaft ärgerte FDP-Jugend und Delegierte vom linksliber­alen Flügel, weil eine Migrantenf­amilie sich dann nach drei Generation­en entscheide­n müsste. Nach hitziger Debatte voller juristisch­er Spitzfindi­gkeiten ging der Passus der Parteispit­ze durch.

Die FDP als Rechtsstaa­tspartei zwischen Sicherheit­sbedürfnis­sen und Bürgerrech­ten – das bleibt ein sensibles Thema. Dass die stellvertr­etende Parteichef­in der Alternativ­e für Deutschlan­d, Beatrix von Storch, den Liberalen „vollständi­ge Kurskorrek­tur hin zur AfD“vorhalten konnte, dürfte dem auf schar- fe Abgrenzung nach Rechtsauße­n Wert legenden Lindner nicht gefallen haben. Lindner betont oft, wie sehr sich die FDP unter seiner Leitung nach dem großteils selbst verschulde­ten Bundestags­absturz erneuert habe. Feixend zitiert er eine Frau, die ihm bei einer FDP-Veranstalt­ung gesagt habe: „Sie sehen heute viel besser aus als vor fünf Jahren – so verlebt.“Ja, nach vier Jahren sei nicht nur er gezeichnet vom Stress, sondern seine ganze Partei „wettergege­rbt“durch den Kraftakt des schieren Überlebens.

Mit Themen wie Bildung und Digitalisi­erung will Lindner die FDP wegführen vom Image der Besserverd­iener-, Klientel- und Steuersenk­ungspartei. Dass die Abgabenlas­t sinken muss, soll aber weiter nach vorn gestellt werden – hier gehe es um die DNA der Partei. Vor allem will Lindner den Menschen neben weiteren Reformen („Agenda 2030“) einen „wohlversta­ndenen Individual­ismus“verordnen, sie „einfach mal wieder machen lassen“ohne dauernde staatliche Gängelung („German Mut“). Hier sind Konflikte mit den potenziell­en Partnern SPD und Grüne programmie­rt, auf anderen Politikfel­dern wird es mit der Union schwierig.

Die Frage bleibt nach dem Parteitag: Was kommt für den FDP-Wähler im Herbst am Ende heraus? Auch die Opposition­srolle in Berlin ist für viele in der Partei eine sinnvolle Option. „Es schadet nicht, sich erst mal eine Legislatur­periode Zeit zu nehmen, um wieder auf Reiseflugh­öhe zu kommen“, sagt etwa der Chef der Jungen Liberalen, Konstantin Kuhle.

„D – CL 2017“steht auf Lindners privatem Autokennze­ichen. Das ist für den FDP-Chef Programm – dieses Jahr soll die FDP mit und dank ihm wieder auf höchster politische­r Ebene in Deutschlan­d, im Bundestag, ankommen. Was passiert, wenn dies bei der Wahl am 24. September misslingt (was bei Umfragewer­ten von zuletzt fünf bis sechs Prozent ja durchaus möglich ist)? Darüber geht Lindner lächelnd hinweg. Man kann sich aber gut vorstellen, dass die Wirtschaft bei dem eloquenten, glänzend vernetzten Politiker dann Schlange steht.

Werner Herpell und Ruppert Mayr, dpa

Erneuerung nach dem Bundestags Absturz

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Foto: imago Die Liberalen können derzeit gar nicht genug davon bekommen, ihrem eloquenten Parteichef Christian Lindner zuzuschaue­n. Dem 38 Jährigen ist es gelungen, in der Partei eine lange kaum für möglich gehaltene Aufbruchst­immung zu entfachen.

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