Augsburger Allgemeine (Land West)
Sie tanzen, solange das Knie hält
Musik Rudi und Lucie Holland lieben die Fünfziger und den Boogie Woogie. Jetzt organisieren sie einen Tanzmarathon
Zusmarshausen
Wer dieses Tanzstudio betritt, landet in einer anderen Zeit. Leuchtreklamen, rote Lederstühle und Nierentische, Jukeboxen, Kino- und Werbeplakate zeigen: Hier sind die Fünfzigerjahre zuhause. Und wenn Rudi Holland dann die Musik einschaltet, seine Frau Lucie packt und zu „See you later, Alligator“übers Parkett wirbelt, dann wippt der Gast unvermittelt mit. Und er versteht, was Rudi Holland meint, wenn er immer wieder sagt: „Boogie Woogie ist getanzte Lebensfreude!“
Rudi und Lucie Holland aus Zusmarshausen, 68 und 63 Jahre alt, tanzen seit 40 Jahren. Erst Rock’n’Roll, dann Boogie Woogie. Jetzt werden sie nochmal so richtig Gas geben. Im August wollen die Hollands zwölf Stunden am Stück Boogie tanzen – freilich nicht allein, sondern mit Unterstützung anderer Paare. Dieser Tanzmarathon soll nicht einfach nur Unterhaltung für die Schlossfest-Besucher sein, sondern auch Spenden für den guten Zweck bringen. „Das Tanzen hat uns so viel gegeben“, sagt Rudi Holland. „Da wollen wir etwas zurück geben.“
Er hat mit 20 Jahren seinen ersten Rock’n’Roll-Kurs gemacht. „Da hat mich der Virus erfasst.“Mit 21 durfte er dann endlich rein ins Jet Set im Schwabencenter, damals eine der größten Augsburger Diskotheken. „Augsburg hatte ja damals eine wilde Rock’n’Roll-Szene“, erzählt Holland. Und bald war er mittendrin. Als er dann ein paar Jahre später seine Lucie kennenlernte, hat er sie fast ein bisschen genötigt, dass sie mit ihm tanzt, gibt er zu. Seine Begeisterung war ansteckend. 1975 haben die beiden den ersten Kurs in der Augsburger Tanzschule Trautz gemacht, 1976 geheiratet und 1977 das erste Turnier getanzt.
Als die beiden mit dem Rock’n’Roll angefangen haben, waren sie eigentlich zu klein und mit Mitte 20 zu alt. Trotzdem haben sie sich durchgebissen, sind von der Cschnell in die B- und dann in die A-Klasse aufgestiegen, wurden mehrmals bayerische Meister, durften einmal sogar beim Europacup starten. Die Saltos und Würfe haben Lucie viel Überwindung gekostet, erzählt sie: „Ich bin ein Schisser.“Bald merkten sie: Der Boogie Woogie liegt ihnen besser. Er wird freier getanzt und hat weniger akrobatische Figuren. 1980 gründeten die beiden die Tanzformation „Boogie
Harmonies“, 1988 stiegen sie komplett auf Boogie Woogie um – und wurden bei ihrem ersten Turnier gleich deutscher Meister.
Nachdem sie sämtliche Titel in der deutschen Oldie-Klasse gewonnen hatten, hörten sie 1997 mit dem Turniertanz auf. Die stolze Bilanz: 30 erste und zweite Plätze in fünf Tanzklassen. Petticoat und Schmalzlocke allein reichten dafür natürlich nicht. Sie mussten sehr
diszipliniert sein, haben fast täglich trainiert. Oft fuhr der selbstständige Maler und Stuckateur direkt von der Baustelle zum Turnier, häufig waren auch die beiden Söhne im Wohnwagen dabei. Das Tanzen ist eben Familiensache. Was durchaus ungewöhnlich ist, denn gerade beim Rock’n’Roll wechseln die Männer häufig ihre Partnerin, erzählt Rudi Holland: „Sie muss jung und fit sein.“Die Hollands dagegen sind seit nunmehr 40 Jahren zusammen. Nur einmal, als Lucie schwanger war, hat er mal kurzzeitig „fremdgetanzt“.
2003 hat sich die Familie in Zusmarshausen den Traum vom eigenen Tanzstudio erfüllt. Dort hatten sie auch ihr Museum für die Fünfzigerjahre geplant. Das ist dort zwar nie entstanden, aber die Ausstattung der drei Säle und der Bar ist durchaus museumsreif. Dort unterrichten die Hollands immer noch jeden Sonntag Boogie Woogie. Aber es gibt natürlich auch Kurse für Standard/Latein, Zumba und Hip-Hop. Ans Aufhören denkt der 68-Jährige nicht. Er will „tanzen bis zum Umfallen“, sagt er – und hofft, dass sein Knie noch mindestens bis zum 70. Geburtstag hält. Wobei er betont, dass seine Verletzungen nicht vom Tanzen, sondern vom Fußballspielen kommen.
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