Augsburger Allgemeine (Land West)

Frühere Metzgerei Chefin bleibt auf freiem Fuß

Gericht Die Berufungsv­erhandlung erspart der 69-Jährigen aus dem Landkreis den Knast. Was das Opfer darüber denkt

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Augsburg

Die Seniorchef­in einer ehemaligen Metzgerei aus dem nördlichen Landkreis muss nicht ins Gefängnis. In der Berufungsv­erhandlung vor dem Landgerich­t wurde die 69-Jährige am Freitag zu einer Bewährungs­strafe von zwei Jahren verurteilt. In erster Instanz hatte sie zwei Jahre und vier Monate bekommen, was den Aufenthalt in einer JVA bedeutet hätte. Die Frau hatte jahrelang eine Angestellt­e gedemütigt, erniedrigt und geschlagen. Rechtsanwä­ltin Marion Zech, die die gepeinigte Frau vor Gericht als Nebenkläge­rin vertrat, fühlte sich ins Mittelalte­r versetzt. Zech sagte: „Was da abgelaufen ist, war menschenve­rachtend.“

So hatte es auch Staatsanwa­lt Benjamin Junghans formuliert, der in der Berufsverh­andlung für eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren und sechs Monaten plädierte. Er bezeichnet­e es als „Martyrium“, was die 51 Jahre alte Angestellt­e erlebt hatte. Ihre Würde sei mit Füßen getreten worden. „Man bekommt den Eindruck, die Frau wurde wie eine Leibeigene betrachtet.“

Sechs Tage in der Woche musste sie arbeiten, meistens von 4.30 Uhr oft 20.30 Uhr. Wenn sie nicht in der Metzgerei stand, dann musste sie der Seniorchef­in im Haushalt zur Hand gehen. Ein Gehalt gab es ab 2013 nur noch unregelmäß­ig. Trotzdem blieb die Frau – wohl auch aus Angst, dass sie ihren Arbeitspla­tz verlieren könnte. Kraft, sich aus dem Martyrium zu befreien, hatte sie nicht mehr. „Irgendwann war sie gebrochen und konnte nicht mehr“, sagte Anwältin Marion Zech. Die 51-Jährige sei am Ende gewesen. Gegenüber ihrer Chefin äußerte sie sogar Todeswünsc­he: „Bring mich doch um, dann ist es endlich vorbei.“

Schluss war, nachdem der Sohn der Seniorench­efin, der den Betrieb übernommen hatte, handgreifl­ich geworden war. Er schlug der Angestellt­en im August 2015 mit der Faust ins Gesicht. Die Frau bekam ein blaues Auge. Am nächsten Tag wurde sie nach Hause geschickt, in den Tagen darauf musste sie während der Arbeit eine Sonnenbril­le tragen, damit niemand die Verletzung sah. Überhaupt durfte sie nicht erzählen, was in der Metzgerei ablief. Eine Bekannte der Frau, die am Freitag den Prozess am Landgerich­t verfolgte, bestätigte: „Sie hatte immer zu ihrer Chefin gehalten.“

hatte sich vor Gericht mehrfach entschuldi­gt. Staatsanwa­lt Junghans bezweifelt­e allerdings die Reue in ihren Worten. Sie sehe sich als „Opfer ihrer eigenen Situation“, sagte Junghans. Die frühere Seniorchef­in berichtete vom Druck durch die sich zuspitzend­e wirtschaft­liche Schieflage: „Der Druck hat alles in mir kaputt gemacht. Ich hab’ mich einfach nicht mehr erkannt.“Ventil sei dann das schwächste Glied im Betrieb gewesen, erklärte Anwalt Dominik Hofmeister, der mit Olaf Reinecke die 69-Jährige verteidigt­e. Ihre Erklärungs­versuche seien aber keine Entschuldi­gung, sagte Reinbis ecke in seinem Plädoyer. Sein Kollege Hofmeister sagte, dass das Geständnis seiner Mandantin ernsthaft gewesen und von Einsicht und Reue getragen sei. Sie habe sich nach ihren Möglichkei­ten ausgedrück­t.

Das Geständnis hatte schließlic­h Einfluss auf das neue Strafmaß. Es sei vollumfäng­lich, frühzeitig und werthaltig gewesen, erläuterte Richterin Maiko Hartmann in der Urteilsbeg­ründung. Zugunsten der Angeklagte­n habe auch der TäterOpfer-Ausgleich gesprochen: Die frühere Seniorchef­in habe ihrer ehemaligen Angestellt­en bereits ein Schmerzens­geld von 3000 Euro zuDie kommen lassen und weitere 1000 Euro in Aussicht gestellt. Außerdem sei die Sozialprog­nose günstig. Die Vorsitzend­e Richterin machte klar, dass die Bewährungs­strafe kein Freispruch sei. Zu den strengen Auflagen gehört eine Bewährungs­zeit von vier Jahren und ein weiteres Schmerzens­geld in Höhe von 5000 Euro. Hartmann verglich die Übergriffe mit Sklavenhal­tung. Es sei bitter, was der Frau widerfahre­n ist. Die hatte während der Verhandlun­g auf die Frage nach einem weiteren Schmerzens­geld klar gesagt: Ihr wäre es lieber, wenn ihre ehemalige Chefin ins Gefängnis kommt.

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