Augsburger Allgemeine (Land West)
Expedition ins medizinische Mittelalter
Engagement Ein Zahnarzt-Ehepaar aus Aystetten hilft im fernen Kambodscha. Was Dr. Pauline Lehmann-Kirsten und Dr. Wulf Lehmann in einem der ärmsten Länder der Welt erlebt haben. Und warum sie wiederkommen werden
Aystetten
Es ist ein Abenteuer, und es ist doch viel mehr als ein Abenteuer, wenn sich Dr. Pauline Lehmann-Kirsten und Dr. Wulf Lehmann aus Aystetten auf den Weg nach Südostasien machen. Aus dem Augsburger Land mit all seinen Annehmlichkeiten geht es in die tiefste kambodschanische Provinz. In einem der ärmsten Länder der Welt helfen die beiden Zahnärzte im Ruhestand Kindern. Jedes Mal, wenn das Ehepaar aufbricht, hat es vor allem eines im Gepäck: medizinische Gerätschaften.
Die beiden Aystetter sind Mitglieder des 2009 in München gegründeten Vereins „Cambodia Child Aid“(CCA), einer kleinen, rein privat betriebenen Initiative, die das Ziel hat, die Lebensqualität und die Zukunftsperspektiven von Kindern in Kambodscha zu verbessern. Das Engagement des Vereins konzentriert sich zunächst auf die Dorfgemeinde Roeul im Puok Distrikt. Eine frühere Kommilitonin von Wulf Lehmann, Professor Dr. Dana Milatovic, und ihr Mann Tom van Baten, Ingenieur für Luftfahrtund Raumfahrttechnik, hatten den Verein nach einer KambodschaReise gegründet.
In Roeul leben 16 000 Einwohner in 14 Dörfern zumeist in einfachsten Hütten ohne Elektrizität und sauberes Wasser. Als die Lehmanns in Cambodia Child Aid“eintraten, hatten sie die Idee, in Roeul eine Zahnstation zu gründen - und so geschah es.
Bis 2007 führten die beiden Mediziner in Neusäß ihre 1984 gegründete Praxisgemeinschaft, Pauline Lehmann-Kirsten als Zahnärztin, ihr Mann Wulf als Kieferchirurg. Seit 1984 leben die beiden in Aystetten, wo auch die drei Kinder aufwuchsen. Pauline Lehmann-Kirsten, 68, und Wulf Lehmann, 70, könnten nun also den Ruhestand genießen und ab und an auf die vier Enkel aufpassen.
Stattdessen fahren sie regelmäßig in eine Gegend, „wo die Infrastruktur fast wie im Mittelalter ist“, erzählen sie von ihren Aufenthalten in Roeul. Von der Provinzhauptstadt Siem Reap, wo sie während ihres meist vierwöchigen Einsatzes wohnen, benötigen die Helfer für das 30 Kilometer entfernte Roeul eine Stunde. Mit dem Jeep geht es über eine mit Schlaglöchern übersäte Piste, die während der Regenzeit in besonders schlechtem Zustand ist. „Das Dorf besteht aus weit verstreuten Hütten, diese oft noch ohne Strom“, beschreibt Wulf Lehmann die Lebensverhältnisse. Die Bevölkerung lebt von der Hand in den Mund. Zur medizinischen Versorgung steht ein einfaches Health Center zur Verfügung. Dort arbeiten
Pflegekräfte, für die Instandhaltung des Gebäudes sorgt ebenfalls „Cambodia Child Aid“.
Das Health Center ist auch der Arbeitsort der deutschen Zahnärzte. Im Frühjahr 2014 waren Lehmanns das erste Mal hier, um das Zahnversorgungsprojekt zu starten. „Wir
haben an Schulen zunächst fast 500 Kinder gescreent und großen Bedarf für Behandlung gesehen. Wir haben Zahnbürsten verteilt und mit Dolmetschern über Zahnhygiene aufgeklärt“, berichtet Pauline LehmannKirsten. Der erste Behandlungsraum war ein Zimmer mit einem Eisenbett. Das notwendigste Instrukambodschanische mentarium hatten Lehmanns mitgebracht oder wurde über CCA finanziert. Mit in die Projektleitung Zahnmedizin kam im Herbst 2014 ein Kollege aus München, Dr. Walter Keller, der aus seiner Praxis viel Material und eine mobile Behandlungseinheit beisteuerte. 2015 wurde die Ausstattung aus Spenden mit zwei einfachen mobilen Behandlungsstühlen und einem modernen Sterilisationsgerät verbessert. Das Gesundheitszentrum hatte davor die Sterilisation mittels einem auf Holzkohlenfeuer erhitztem Druckkessel durchgeführt.
Den ganzen Tag werden die Kinder, die geduldig vor dem Health Center warten, behandelt: „Sie sind so brav, legen sich ganz still auf den Stuhl“, beschreibt Pauline Lehmann-Kirsten die Bescheidenheit der kleinen Kambodschaner. Keines gebe einen Laut von sich: „Die Dankbarkeit ist das Schönste, was wir bekommen - und der Erfolg der Behandlung.“
„Mund auf, Mund zu“können Lehmanns inzwischen selbst auf Khmer sagen, ansonsten helfen Dolmetscher. Bei der großen Luftfeuchtigkeit und Temperaturen von 30 Grad ist die Arbeit sehr anstrengend, es gibt keine Klimaanlage. „Die Milchzähne der Kinder sind fast durchweg kariös und können oft nur noch gezogen werden“, erklärt Wulf Lehmann den Zahnstatus der kleinen Patienten. Umso wichtiger sei die Hygieneaufklärung - aber die zeige mit der Zeit auch Erfolg: „Bei unserem zweiten Besuch stellten wir fest, dass sich die älteren Kinder schon die Zähne putzen und stolz sind auf ihre Zähne.“Resümee des Zahnärzteteams im Jahr 2015, als auch weitere Kollegen zum Helfen kamen, nach einer zweiwöchigen Arbeit: 334 Patienten untersucht, 215 behandelt, 294 Extraktionen, 140 Füllungen, 13 mal Zahnstein entfernt.
Bei den zeitlich begrenzten Einsätzen haben Lehmanns allerdings auch ein weitergehendes Ziel im Auge: Die Zahnstation soll das ganze Jahr geführt werden. So könnte etwa eine einheimische Pflegerin alle vier Wochen „das Nötigste“machen oder auch ein kambodschanischer Zahnarzt mitarbeiten.
Für all dies müssen die deutschen Helfer jedoch aufwendige Genehmigungen bei der Regierung beantragen - und oft selbst bezahlen. Die Regierung scheine wenig Interesse an der Versorgung der ländlichen Bevölkerung zu haben. „Cambodia Child Aid“will das ändern. Deshalb gehören zu den Projekten vor Ort Mathematik- und Englischunterricht, eine Nähschule und eine Computerschule. Sehr wichtig ist auch das Bohren von Brunnen für sauberes Trinkwasser. Fast 150 Brunnen wurden durch CCA inzwischen bereits installiert. Unterstützung kann man von Deutschland auch über eine Patenschaft für ein Kind leisten und ihm damit eine Schulbildung ermöglichen. Familie Lehmann hat zwei Patenkinder. I http://www.cambodiachildaid.eu/
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