Augsburger Allgemeine (Land West)
Sie kennt keine Parteien mehr, nur Koalitionspartner
überlässt die Gegenwart deren Verwaltern.
Der englische Politologe Colin Crouch prägte dafür 2004 den Begriff der „Postdemokratie“, in der zwar Wahlen als Spektakel veranstaltet würden, in denen aber ein echter Politikwechsel nicht mehr möglich sei. Diesen Befund mag man teilen oder nicht, aber lange Zeit schienen sich die Parteien in den größeren Demokratien Europas doch inhaltlich anzunähern. So sehr sogar, dass die Kanzlerin bekanntlich lange gar keine mehr zu kennen schien, sondern nur noch Koalitionspartner.
Crouch spart aber auch nicht mit Kritik am „passiven, apathischen“Bürger, der ja in der Tat in einer Zeit, in der klassische Milieus, Werte und Bindungen entgültig zerbröselten, sein Heil in einem entpolitisierten Neobiedermeier suchte und den wählte, der am wenigsten das Europas bis heute anhaltenden, verheerenden Folgen konnte man zum ersten Mal den Eindruck gewinnen, dass sich da wieder etwas regt, Menschen auf die Straße gehen, wütend sind. Und die Erschütterungen alter Gewissheiten wie die, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird als einem selbst, treffen mittlerweile nicht nur Südeuropa. Nur so ist es ja auch zu erklären, dass ein Martin Schulz mit seinem in rheinischem Sing-Sang vorgebrachten GerechtigkeitsMantra – zumindest anfänglich – eine solch gewaltige Begeisterung entfachte. Den Rest wird man im Herbst erfahren.
Jedenfalls ist es diese soziale Verunsicherung, die von einer lediglich pragmatisch-alternativlos sich gebenden Politik keine Resonanz erfährt, welche sich auch in den populistischen Bewegungen der Gegenwart Bahn bricht. Dass diese in das vorherrschende Vakuum, das die emotionslosen Verwalter des Politischen hinterlassen, vorstoßen, ja, regelrecht hinein- und erst großgekann.