Augsburger Allgemeine (Land West)
Die SPD geht an der Küste baden
Hintergrund Vom Schulz-Effekt spricht keiner mehr: Auch in Schleswig-Holstein erleben die Sozialdemokraten ein Debakel. Jetzt beginnt ein Koalitionskrimi mit bundesweiten Signalen
„Birnen, Bohnen und Speck“reichen die Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus, der im Norden beliebte Eintopf soll die passende Grundlage für die geplante Party zur Wahl in Schleswig-Holstein liefern. Doch auf das gräuliche Dreierlei im Warmhaltebehälter hat kaum einer Lust, als die ersten Hochrechnungen auf den Großbildleinwänden im gläsernen Foyer der Parteizentrale erscheinen. Die Gespräche verstummen schlagartig, als klar wird, welches Debakel die Sozialdemokraten im Norden erleiden: von 30,4 Prozent der Stimmen bei der Wahl 2012 abgestürzt auf 27,1 Prozent. Die sogenannte Küstenkoalition, das landestypische Dreierlei aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband, haben die Bürger definitiv abgewählt. SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz versucht denn auch erst gar nicht, die Niederlage schönzureden: „Ich bin enttäuscht und traurig, das geht unter die Haut“, sagt er und gratuliert der CDU zu einem „großen Erfolg“.
Nach der Pleite im Saarland vor wenigen Wochen ist es bereits die zweite Niederlage, die er als Parteichef verantworten muss. Und so hakt Schulz die Niederlage in Kiel auch postwendend ab und versucht die SPD auf den Endspurt des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen einzuschwören: „Jetzt werden wir die Ärmel hochkrempeln und zeigen, dass Hannelore Kraft die bessere Alternative ist.“
Im Konrad-Adenauer-Haus bei der CDU dagegen ist der Jubel groß über den Überraschungssieg von Daniel Günther. Nun spricht politisch fast alles dafür, dass der erst 43-Jährige neuer Regierungschef in Kiel wird. Die Zeichen stehen auf „Jamaika“, ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen. Mit dem klaren Vorsprung der CDU und dem schwachen SPD-Ergebnis scheint eine „Ampel“aus SPD, FDP und Grünen politisch kaum vermittelbar. Allerdings könnte die Koalitionsfrage die Grünen zerreißen. Ein Nein der Partei zu „Jamaika“ist nicht auszuschließen. Die Entscheidung über eine Koalition wird womöglich noch spannender als die Wahl. Erste Gespräche zur Regierungsbildung dürfte es erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen geben.
Das Wahldebakel der SPD ist eine krachende persönliche Niederlage für Ministerpräsident Torsten Albig, der im Wahlkampf selbstgefällig wirkte. Das TV-Duell gegen Herausforderer Günther konnte Albig nicht gewinnen. Zudem dürfte ein verunglücktes Bunte-Interview eine beachtliche Zahl weiblicher Wähler vergrault haben. Albig gab es als Doppelinterview mit seiner neuen Freundin und transportierte im Zusammenhang mit der Trennung von seiner Frau ein überkommenes Frauenbild. „Irgendwann entwickelte sich mein Leben schneller als ihres“, sagte der SPD-Mann. „Wir hatten nur noch ganz wenige Momente, in denen wir uns auf Augenhöhe ausgetauscht haben.“
Die Albig-Koalition hatte in den letzten Jahren ohne großes Aufsehen regiert. Die Steuereinnahmen in Rekordhöhe halfen dabei, Haushalte ohne neue Schulden aufzustellen und ein Investitionsprogramm für die teils marode Infrastruktur auf den Weg zu bringen.
Nachdem die SPD monatelang in den Umfragen vor der CDU gelegen hatte, kippte das Stimmungsbild nach und nach. Zehn Tage vor der Wahl hatte die CDU mit dem ehrgeizigen Kandidaten Günther erstmals die Nase vorn. Der Christdemokrat setzte im Wahlkampf auf Populäres und Konkretes. Weg vom Turbo-Abitur; größere Abstände zwischen neuen Windanlagen und Wohnhäusern, Grunderwerbsteuer senken, die Autobahn A20 endlich zügig weiterbauen.
Während Merkels Kanzlerschaft hat es noch nie ein CDU-Politiker geschafft, aus der Opposition heraus Regierungschef zu werden. Entsprechend froh zeigt sich in Berlin CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Nun müsse die Partei in Nordrhein-Westfalen bis kommenden Sonntag „weiter bei Wind und Wetter, auf Straßen und Plätzen und an den Haustüren Wahlkampf machen, damit auch dort der Politikwechsel gelingt“. Und der CSU-Europapolitiker Manfred Weber spottet: „Der Schulz-Effekt ist für die SPD mehr und mehr ein Negativ-Effekt.“
Große Erleichterung herrscht bei den Grünen: Das gute Ergebnis von 2012 wurde mit 13 Prozent in etwa gehalten, für die bundesweit im Umfragetief steckende Ökopartei ist die befürchtete Wahlschlappe ausgeblieben. „Heute Abend gibt es einen klaren Wählerauftrag, die Wähler wollen die Grünen in der Regierung haben“, sagt Parteichef Cem Özdemir. Sein Hinweis, dass der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck „einer der beliebtesten Politiker dieses Landes“sei, wurde als Hinweis darauf gewertet, dass Habeck auch im Bundestagswahlkampf eine größere Rolle als bisher spielen könnte.
„Mit Habeck fürs Land“hieß es auf Wahlplakaten, obwohl der Umweltminister gar nicht zur Wahl stand. Denn der 47-Jährige hatte das Rennen um die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl knapp gegen Özdemir verloren und zuvor angekündigt, im Falle eines Scheiterns weder für das Parlament in Berlin noch für das in Kiel zu kandidieren. „All in“, gab er als Motto aus. Die Tür für eine zweite Amtszeit als Landesminister stand ihm aber immer offen, und das gilt weiter.
Fraglich ist nur, unter einem SPD- oder einem CDU-Regierungschef. FDP-Chef Wolfgang Kubicki zumindest schätzt den Grünen: „Ich halte ihn für einen nicht nur persönlich sehr tollen Typen, sondern auch für einen politischen Kopf, auf den die Grünen nicht verzichten sollten“, sagte Kubicki, als Habeck um die Spitzenkandidatur kämpfte. Kubicki selbst will den Landtag verlassen und als Bundestagsabgeordneter nach Berlin wechseln. Rückenwind für die Rückkehr der Liberalen in den Bundestag bringt der 65-Jährige mit seinem zweistelligen Ergebnis aus Kiel schon mal mit.
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