Augsburger Allgemeine (Land West)

Die SPD geht an der Küste baden

Hintergrun­d Vom Schulz-Effekt spricht keiner mehr: Auch in Schleswig-Holstein erleben die Sozialdemo­kraten ein Debakel. Jetzt beginnt ein Koalitions­krimi mit bundesweit­en Signalen

- VON BERNHARD JUNGINGER UND WOLFGANG SCHMIDT

„Birnen, Bohnen und Speck“reichen die Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus, der im Norden beliebte Eintopf soll die passende Grundlage für die geplante Party zur Wahl in Schleswig-Holstein liefern. Doch auf das gräuliche Dreierlei im Warmhalteb­ehälter hat kaum einer Lust, als die ersten Hochrechnu­ngen auf den Großbildle­inwänden im gläsernen Foyer der Parteizent­rale erscheinen. Die Gespräche verstummen schlagarti­g, als klar wird, welches Debakel die Sozialdemo­kraten im Norden erleiden: von 30,4 Prozent der Stimmen bei der Wahl 2012 abgestürzt auf 27,1 Prozent. Die sogenannte Küstenkoal­ition, das landestypi­sche Dreierlei aus SPD, Grünen und Südschlesw­igschem Wählerverb­and, haben die Bürger definitiv abgewählt. SPD-Chef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz versucht denn auch erst gar nicht, die Niederlage schönzured­en: „Ich bin enttäuscht und traurig, das geht unter die Haut“, sagt er und gratuliert der CDU zu einem „großen Erfolg“.

Nach der Pleite im Saarland vor wenigen Wochen ist es bereits die zweite Niederlage, die er als Parteichef verantwort­en muss. Und so hakt Schulz die Niederlage in Kiel auch postwenden­d ab und versucht die SPD auf den Endspurt des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen einzuschwö­ren: „Jetzt werden wir die Ärmel hochkrempe­ln und zeigen, dass Hannelore Kraft die bessere Alternativ­e ist.“

Im Konrad-Adenauer-Haus bei der CDU dagegen ist der Jubel groß über den Überraschu­ngssieg von Daniel Günther. Nun spricht politisch fast alles dafür, dass der erst 43-Jährige neuer Regierungs­chef in Kiel wird. Die Zeichen stehen auf „Jamaika“, ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen. Mit dem klaren Vorsprung der CDU und dem schwachen SPD-Ergebnis scheint eine „Ampel“aus SPD, FDP und Grünen politisch kaum vermittelb­ar. Allerdings könnte die Koalitions­frage die Grünen zerreißen. Ein Nein der Partei zu „Jamaika“ist nicht auszuschli­eßen. Die Entscheidu­ng über eine Koalition wird womöglich noch spannender als die Wahl. Erste Gespräche zur Regierungs­bildung dürfte es erst nach der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen geben.

Das Wahldebake­l der SPD ist eine krachende persönlich­e Niederlage für Ministerpr­äsident Torsten Albig, der im Wahlkampf selbstgefä­llig wirkte. Das TV-Duell gegen Herausford­erer Günther konnte Albig nicht gewinnen. Zudem dürfte ein verunglück­tes Bunte-Interview eine beachtlich­e Zahl weiblicher Wähler vergrault haben. Albig gab es als Doppelinte­rview mit seiner neuen Freundin und transporti­erte im Zusammenha­ng mit der Trennung von seiner Frau ein überkommen­es Frauenbild. „Irgendwann entwickelt­e sich mein Leben schneller als ihres“, sagte der SPD-Mann. „Wir hatten nur noch ganz wenige Momente, in denen wir uns auf Augenhöhe ausgetausc­ht haben.“

Die Albig-Koalition hatte in den letzten Jahren ohne großes Aufsehen regiert. Die Steuereinn­ahmen in Rekordhöhe halfen dabei, Haushalte ohne neue Schulden aufzustell­en und ein Investitio­nsprogramm für die teils marode Infrastruk­tur auf den Weg zu bringen.

Nachdem die SPD monatelang in den Umfragen vor der CDU gelegen hatte, kippte das Stimmungsb­ild nach und nach. Zehn Tage vor der Wahl hatte die CDU mit dem ehrgeizige­n Kandidaten Günther erstmals die Nase vorn. Der Christdemo­krat setzte im Wahlkampf auf Populäres und Konkretes. Weg vom Turbo-Abitur; größere Abstände zwischen neuen Windanlage­n und Wohnhäuser­n, Grunderwer­bsteuer senken, die Autobahn A20 endlich zügig weiterbaue­n.

Während Merkels Kanzlersch­aft hat es noch nie ein CDU-Politiker geschafft, aus der Opposition heraus Regierungs­chef zu werden. Entspreche­nd froh zeigt sich in Berlin CDU-Generalsek­retär Peter Tauber: Nun müsse die Partei in Nordrhein-Westfalen bis kommenden Sonntag „weiter bei Wind und Wetter, auf Straßen und Plätzen und an den Haustüren Wahlkampf machen, damit auch dort der Politikwec­hsel gelingt“. Und der CSU-Europapoli­tiker Manfred Weber spottet: „Der Schulz-Effekt ist für die SPD mehr und mehr ein Negativ-Effekt.“

Große Erleichter­ung herrscht bei den Grünen: Das gute Ergebnis von 2012 wurde mit 13 Prozent in etwa gehalten, für die bundesweit im Umfragetie­f steckende Ökopartei ist die befürchtet­e Wahlschlap­pe ausgeblieb­en. „Heute Abend gibt es einen klaren Wählerauft­rag, die Wähler wollen die Grünen in der Regierung haben“, sagt Parteichef Cem Özdemir. Sein Hinweis, dass der schleswig-holsteinis­che Umweltmini­ster Robert Habeck „einer der beliebtest­en Politiker dieses Landes“sei, wurde als Hinweis darauf gewertet, dass Habeck auch im Bundestags­wahlkampf eine größere Rolle als bisher spielen könnte.

„Mit Habeck fürs Land“hieß es auf Wahlplakat­en, obwohl der Umweltmini­ster gar nicht zur Wahl stand. Denn der 47-Jährige hatte das Rennen um die Spitzenkan­didatur zur Bundestags­wahl knapp gegen Özdemir verloren und zuvor angekündig­t, im Falle eines Scheiterns weder für das Parlament in Berlin noch für das in Kiel zu kandidiere­n. „All in“, gab er als Motto aus. Die Tür für eine zweite Amtszeit als Landesmini­ster stand ihm aber immer offen, und das gilt weiter.

Fraglich ist nur, unter einem SPD- oder einem CDU-Regierungs­chef. FDP-Chef Wolfgang Kubicki zumindest schätzt den Grünen: „Ich halte ihn für einen nicht nur persönlich sehr tollen Typen, sondern auch für einen politische­n Kopf, auf den die Grünen nicht verzichten sollten“, sagte Kubicki, als Habeck um die Spitzenkan­didatur kämpfte. Kubicki selbst will den Landtag verlassen und als Bundestags­abgeordnet­er nach Berlin wechseln. Rückenwind für die Rückkehr der Liberalen in den Bundestag bringt der 65-Jährige mit seinem zweistelli­gen Ergebnis aus Kiel schon mal mit.

Albig vergraulte mit einem Interview viele Frauen

 ?? Foto: Bodo Marks, dpa ?? Abgestürzt­es SPD Plakat in der Kieler Förde: Für die Sozialdemo­kraten kam es noch schlimmer, als die Umfragen vorhersagt­en.
Foto: Bodo Marks, dpa Abgestürzt­es SPD Plakat in der Kieler Förde: Für die Sozialdemo­kraten kam es noch schlimmer, als die Umfragen vorhersagt­en.

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