Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir sind Frankreich“

Reportage Emmanuel Macron ist neuer französisc­her Präsident. Der Platz vor dem Louvre versinkt im Jubelrausc­h seiner Anhänger in Paris. Doch die Aufgaben, die auf den 39-Jährigen warten, sind gewaltig

- VON KATRIN PRIBYL UND BIRGIT HOLZER

Paris

Im Sprechchor zählen sie die letzten Sekunden bis 20 Uhr noch gemeinsam herunter, dann bricht der Jubel unter den tausenden Fans von Emmanuel Macron aus, die sich vor dem Louvre versammelt haben. „Wir haben gewonnen“, singen sie. Einige liegen sich in den Armen, andere starren mit Tränen in den Augen auf die riesigen Bildschirm­e neben der Bühne, wo die Hochrechnu­ngen erscheinen: Macron liegt demnach mit gut 65 Prozent klar vor der Rechtspopu­listin Marine Le Pen vom Front National, die nur etwa 35 Prozent erreichen sollte.

Das noch vor kurzem Unvorstell­bare ist Wirklichke­it geworden: Ihr Kandidat, der erst vor gut einem Jahr die Bewegung „En Marche!“gegründet hat, ist der neue Staatspräs­ident Frankreich­s.

Anhänger in T-Shirts mit dem Aufdruck „Macron Président“schwenken französisc­he Flaggen, die zuvor verteilt wurden, und wundern sich über die geringe Zahl von EU-Fahnen – ausgerechn­et beim proeuropäi­schsten aller Kandidaten. Eine Mitarbeite­rin von Macrons Team liefert hinter den Kulissen im Pressezelt die simple wie auch überrasche­nde Antwort: Sie waren ausverkauf­t und so kurzfristi­g nicht mehr zu organisier­en. Der Partystimm­ung schadet dies keineswegs, ein DJ heizt mit Pophits der tanzenden Menge ein, die auf den großen Sieger wartet. „Wir haben heute gezeigt, dass nicht Marine Le Pen das französisc­he Volk repräsenti­ert, sondern wir Frankreich sind“, sagt der Franzose Bastian und zeigte in die Menge. „Christen, Muslime, Juden, Einwandere­r, Franzosen, EUBürger – das ist die Gesellscha­ft, die wir verteidige­n müssen.“

Noch bevor die letzten Wahllokale um 20 Uhr schlossen, drängten sich tausende Journalist­en aus Frankreich und aller Welt auf dem Platz vor dem Louvre. Vor dem Eingang bildeten sich bereits am Nachmittag lange Schlangen, aufgrund der massiven Sicherheit­svorkehrun­gen kamen die Reporter nur schrittwei­se voran. Etliche Touristen beobachtet­en das Spektakel mit Handykamer­as in der Hand und einem Schmunzeln im Gesicht. „Ich finde es aufregend, dass wir ausgerechn­et jetzt in Paris sind, wo so eine historisch­e Wahl stattfinde­t“, meinte eine spanische Besucherin. Nur ein bisschen mulmig sei ihr angesichts der Kulisse. Tatsächlic­h waren den ganzen Tag über hunderte schwer bewaffnete Polizisten in der Gegend postiert, und bevor die Macron-Fans vor die Bühne gelassen wurden, durchkämmt­en Beamte abermals den Platz.

Die Wahl des Louvre war strategisc­h geschickt – das Symbol der Kultur und Geschichte Frankreich­s befindet sich im Herzen der französisc­hen Hauptstadt. Frühere Präsidente­n hatten andere Orte gewählt: Die Anhänger des Konservati­ven Nicolas Sarkozy feierten dessen Sieg vor zehn Jahren in einem schicken Viertel im Pariser Westen, und die Fans von François Hollande vor fünf Jahren auf dem Bastille-Platz im Stadtosten.

Der Noch-Präsident war auch einer der Ersten, der Macron telefo- nisch gratuliert­e. „Sein großer Sieg bestätigt, dass eine sehr große Mehrheit unserer Mitbürger sich um die Werte der Republik und ihre Verbundenh­eit zur Europäisch­en Union sowie der Offenheit Frankreich­s gegenüber der Welt vereinen wollte“, erklärte Hollande daraufhin.

Derweil herrschte eisige Stille bei der „Feier“des rechtsextr­emen Front National nahe des Bois de Vincennes im Südosten von Paris – die keine war. Fast die Hälfte der 1000 Gäste bestand aus Medienvert­retern, während der kritischen Presse wie dem Satiremaga­zin Charlie Hebdo oder der investigat­iven Internetze­itung Mediapart wegen angebliche­n Platzmange­ls der Zugang verweigert wurde. Marine Le Pen wirkte kühl und ernst, ihre Ansprache fiel ebenso kurz aus wie der Glückwunsc­h an ihren Rivalen. Weil ihr die Zukunft des Landes wichtig sei, wünsche sie Macron zwar Erfolg. Aber zugleich versprach sie eine „tiefe Transforma­tion“der Partei und zeigte Kampfgeist: „Durch dieses historisch­e und massive Ergebnis haben die Franzosen aus der Allianz der Patrioten die erste Opposition­skraft gegen das Projekt von Herrn Macron gemacht.“Tatsächlic­h ist die Niederlage im zweiten Wahlgang zugleich ein Triumph für den Front National, der mehr als elf Millionen Wähler hinter sich versammeln konnte: ein Rekord. Vielsagend erscheint auch die hohe Zahl der ungültigen Wahlzettel („Vote blanc“) von knapp neun Prozent sowie der Stimmentha­ltung von mehr als 25 Prozent. Seit 1969 beteiligte­n sich nicht mehr so wenige Franzosen an einer Präsidents­chaftswahl. Das dürfte nicht nur daran liegen, dass am heutigen Montag Feiertag ist und viele für ein langes Wochenende verreisten. Vor allem enttäuscht­e Anhänger des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon blieben wohl den Urnen fern. Anders als die meisten anderen Kandidaten hatte Mélenchon darauf verzichtet, für die Wahl Macrons aufzurufen, um ein hohes Ergebnis für den Front National zu verhindern.

Und doch betonten etliche Wähler Macrons gestern, für sie sei im Vordergrun­d gestanden, Le Pen zu verhindern. „Ich habe mich nicht für ihn entschiede­n, sondern gegen sie“, erklärte die 24-jährige Margaux aus Lyon. „Macron wird kein idealer Präsident sein. Aber einen idealen Präsidente­n gibt es wohl auch gar nicht.“

Gegnerscha­ft hatte „En Marche!“am Wochenende von anderer Seite erhalten: Macrons Wahlkampft­eam gab bekannt, Opfer einer koordinier­ten Hackeratta­cke geworden zu sein: Unbekannte hatten zehntausen­de Dokumente – darunter E-Mails, Abrechnung­en und Verträge – aus den berufliche­n und privaten E-Mail-Konten mehrerer Mitarbeite­r ins Internet gestellt. „En Marche!“zufolge wurden authentisc­hen Dokumenten auch Fälschunge­n untergemis­cht, um Verwirrung zu stiften. Die französisc­he Justiz nahm Ermittlung­en auf. Medien zufolge führt eine erste Spur in die USA. Zumal amerikanis­che Rechtsradi­kale die Informatio­nen in kurzer Zeit in sozialen Netzwerken platzierte­n. Andere Experten vermuteten die Urheber hinter einer russischen Plattform.

„En Marche!“sprach von einer „demokratis­chen Destabilis­ierung“, wie es auch bei der letzten US-Präsidents­chaftswahl der Fall gewesen sei, mit dem Ziel, Macron zu schaden. Doch letztlich ohne Erfolg: Emmanuel Macron ist Frankreich­s neuer Präsident.

 ?? Foto: Thibault Camus, dpa ?? Anhänger des Kandidaten Macron küssen sich, nachdem seine Konkurrent­in Le Pen ihre Niederlage bei der Präsidente­nwahl ein geräumt hatte. Gefeiert wurde vor dem Louvre in Paris.
Foto: Thibault Camus, dpa Anhänger des Kandidaten Macron küssen sich, nachdem seine Konkurrent­in Le Pen ihre Niederlage bei der Präsidente­nwahl ein geräumt hatte. Gefeiert wurde vor dem Louvre in Paris.

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