Augsburger Allgemeine (Land West)
Einsamkeit um Lohengrin
Theater-Projekt von Alvis Hermanis
Was für ein trauriger, was für ein sehnsuchtsvoller, was für ein leiser, tastender, aussichtsloser Abend. Fünf Richard-Wagner-Anhänger, alleinstehend und fortgeschrittenen Alters, treffen sich konspirativ, anonym, in einer angemieteten Airbnb-Wohnung ihrer Stadt, um „Lohengrin“zu hören, zu besprechen, zu rezitieren, melodramatisch zu spielen – „Lohengrin“, diese tragisch endende romantische Liebes-Oper, die Wagner selbst als seinen allertraurigsten Stoff empfand.
Scham verbindet sie; die Scham, eine scheinbar abseitige Leidenschaft zu pflegen – per ReclamHeftchen, Opernführer und Vinyl auf dem Schallplattenspieler. In gewisser Weise sind diese fünf kleinbürgerliche Verwandte von denen, die in Thomas Manns „Zauberberg“der Fülle des Wohllauts nachhorchen. In gewisser Weise sind sie in ihrer Bieder- und Durchschnittlichund Schrulligkeit auch Figuren Loriots einerseits, Thomas Bernhards andererseits – wenn sie auch nicht dessen Abgründigkeit erreichen.
Es hat seine tragische Ironie, wenn rund um Lohengrins Kernsatz „Nie sollst du mich befragen“ein Häuflein von Menschen zusammenkommt, die Wagner zwar verbindet, aber wohl noch mehr ihre Einsamkeit. Und ihr Drang, etwas loszuwerden. Und ihr Wunsch, von anderen Geschichten zu vernehmen, in denen sich Leben zumindest kurzzeitig kristallisiert. Auch hat es seine Ironie, wenn bei ihrem gemeinsamen Musiklauschen ein visionärer Schwanenritter und -retter höchstselbst in Erscheinung tritt.
Von dem Regisseur Alvis Hermanis und den fünf Schauspielern Zapatka/Schwab/Willenbacher/Rupperti/Wolf-Plottegg stammt dieser Abend im Münchner CuvilliésTheater, der unter dem Titel „Insgeheim Lohengrin“die Patina einer alten Zeit beschwört – und auch ein wenig Sozio-Voyeurismus mit sympathisch-lächerlich-bemitleidenswerten Personen treibt. Abgegolten nun erscheint die Bayreuth-Absage von Alvis Hermanis, der den „Lohengrin“dort 2018 hätte inszenieren sollen. Er war ja zuletzt keine glückliche Gestalt der Theaterszene – nachdem er eine Regie am Hamburger Thalia-Theater aufgrund dessen Einsatzes für Flüchtlinge abgesagt hatte und nachdem er in Salzburg 2016 mit einer so sündteuren wie gedankenlos-gestrigen Inszenierung der „Liebe der Danae“aufgetreten war.
Auch gegen den Nostalgie-Charakter von „Insgeheim Lohengrin“darf man Einwände hegen. Und nicht jedem werden die Probleme und Problemchen von Helga, Otto, Heiner, Kathi und Eskil etwas sagen. Gleichwohl besitzt diese Produktion, in die manches Persönliche der Darsteller eingeflossen sein dürfte, etwas Beschwörendes inmitten der digitalen Epoche. Ein Defizit unserer Zeit spielt mit. O Nächste Vorstellungen: 10. und 23. Mai, 1. Juni