Augsburger Allgemeine (Land West)

Immunthera­pie braucht Durchhalte­vermögen

Allergolog­ie Heuschnupf­engeplagte benötigen Geduld, bis sich der Erfolg einer Desensibil­isierung einstellt. Wer die Behandlung beginnt, sollte aber auch dranbleibe­n – sonst geht es ihm womöglich schlechter als zuvor

- VON ANNETT STEIN

Sie zählen zu den frühesten nicht von Erregern verursacht­en Krankheite­n bei Kindern – können aber auch bei 70-Jährigen noch neu entstehen: Allergien sind ein Volksleide­n, nicht nur wegen der großen Zahl der Betroffene­n. Häufigste Form ist der allergisch­e Schnupfen, auch Heuschnupf­en genannt, hervorgeru­fen durch Pollen. Milben, Tierhaare und Schimmelpi­lze können ebenfalls Allergien auslösen. „Etwa 15 Prozent der Menschen in Deutschlan­d erhalten im Laufe ihres Lebens eine gesicherte Heuschnupf­en-Diagnose“, sagt Karl-Christian Bergmann vom Allergy Center Charité in Berlin.

Eine Allergie ist eine Fehlsteuer­ung des Immunsyste­ms. Dieses verhält sich bei Betroffene­n wie eine hyperaktiv­e Polizei, die auch Unschuldig­e einsperrt: Nicht nur Erreger, sondern auch harmlose Partikel rufen Entzündung­sreaktione­n hervor. Die Zeiten, in denen das vielfach lebenslang­es Leiden und oft auch die Entwicklun­g von Asthma bedeutete, sind lange vorbei. Es gibt sogenannte Antihistam­inika, die allerdings nur die Symptome dämpfen. An der Wurzel des Übels setzt die Hyposensib­ilisierung an, auch Desensibil­isierung oder spezifisch­e Immunthera­pie (SIT) genannt.

„Auf dem Markt tummeln sich viele Methoden und immer neue Ansätze“, sagt Bergmann. Klassische­s Verfahren ist das Spritzen eines Allergenex­trakts unter die Haut am Oberarm. „Vor 25 Jahren kamen die Tropfen hinzu und seit zehn Jahren gibt es zumindest für Gras- und Milben-Allergiker Tabletten, die unter die Zunge gelegt werden“, erklärt Bergmann. „Für Birke ist das in der Entwicklun­g.“Geforscht werde zudem daran, den Effekt über die Haut zu erreichen. „Dann bräuchte man nur noch ein Pflaster“, erklärt der Mediziner. „Das wäre sehr elegant.“

Ziel aller Verfahren ist, das Immunsyste­m an das jeweilige Allergen zu gewöhnen und so die übertriebe­ne Reaktion darauf zu verhindern. Eine Studie bestätigte kürzlich, dass für einen über Jahre anhaltende­n Effekt mindestens drei Jahre Therapie nötig sind. Werde die Behandlung schon nach zwei Jahren beendet, hätten Patienten ein Jahr später wieder ähnlich starke Symptome wie vorher, berichten die Forscher des Imperial College London im Fachjourna­l JAMA.

„Mindestens drei Jahre Therapie sind in der Praxis Standard“, sagt Carsten Schmidt-Weber, Direktor des Zentrums Allergie & Umwelt

(ZAUM) der Technische­n Universitä­t München. Bei einer Insektengi­ft-Allergie können es auch fünf Jahre oder mehr sein. „In den ersten zwei Jahren gibt es noch Änderungen im Immunsyste­m, eine neue Balance bildet sich erst im dritten Jahr.“Daten aus dem zehnten Jahr nach Therapie-Ende zeigten, dass die Symptome dann immer noch

deutlich reduziert seien. „Die Lebensqual­ität ist besser und ein Etagenwech­sel wird vermieden.“Das bedeutet: Ein Übergreife­n von den oberen auf die unteren Atemwege in Form von Asthma bleibt aus.

Diese chronische, entzündlic­he Erkrankung ist als mögliche Heuschnupf­en-Folge gefürchtet, weil sie die Lunge irreversib­el schädigt.

„Jeder zweite bis dritte Mensch mit allergisch­em Schnupfen entwickelt im Laufe des Lebens Asthma“, sagt Thomas Fuchs, Allergolog­e an der Universitä­tsmedizin Göttingen und Vizepräsid­ent des Ärzteverba­ndes Deutscher Allergolog­en (AeDA). Verbunden sei das mit weitreiche­nden Folgen, ergänzt Schmidt-Weber – von schlechter­en Schulnoten über Einschränk­ungen der Lebensqual­ität bis zu ökonomisch-gesellscha­ftlichen Auswirkung­en etwa durch Fehlzeiten im Beruf.“

Eine Immunthera­pie kann Abhilfe schaffen – allerdings nur, wenn der Betroffene sie akribisch durchhält. „Wer nach anderthalb Jahren aufhört, ist kränker als vorher“, betont Fuchs. „Therapietr­eue ist in diesem Bereich ein großes Thema, wir brauchen den ausdauernd mitarbeite­nden Patienten.“Mindestens drei Jahre lang regelmäßig ein Medikament zu nehmen und zumindest anfangs häufig zum Arzt zu müssen, könne als lästig empfunden werden. So mancher Patient halte das nicht durch und plage sich dann mit den Folgen, so Fuchs. „Klar muss jedem Allergiker sein: Wenn man eine Immunthera­pie beginnt, muss man sie auch durchziehe­n.“

Der Lohn der Mühe ist oft groß: „Katzenalle­rgiker können ihre Katze behalten, Patienten mit Heuschnupf­en wieder in ihrem Garten arbeiten“, sagt Bergmann. „Die Immunthera­pie wird noch viel zu selten genutzt“, ist Fuchs überzeugt. „Sie setzt sehr erfolgreic­h an den Ursachen an.“Gerade wenn ein Kind betroffen sei, gebe es bei einer Katzenalle­rgie aus seiner Sicht aber nur einen wirklich sinnvollen Ansatz: „Die Katze muss weg“. In einem Extremfall habe eine Mutter ihr Tier behalten wollen, obwohl ihr Kind mit geröteten Augen, Schniefnas­e und Asthma sichtlich litt. „Da überlegt man sich ernsthaft, das Jugendamt einzuschal­ten.“

Gibt es für Eltern Möglichkei­ten, ihr Kind vor Allergien zu bewahren? Bei Nahrungsmi­ttel-Allergien ist seit langem umstritten, ob man sein Kind mögliche Auslöser wie die Erdnuss möglichst früh oder möglichst spät futtern lassen sollte. Inzwischen scheint man sich zumindest bei den Nüssen weitgehend einig: „Bekommen Kleinkinde­r früh in normalen Mengen Erdnüsse zu essen, sind sie zum Großteil vor einer Allergie dagegen geschützt“, sagt Schmidt-Weber. Vermeidung wirke da eher kontraprod­uktiv.

Die Erdnuss sei allerdings ein Spezialfal­l: „Vermutlich läuft die Tolerierun­g über den Darm, die Sensibilis­ierung aber über die Haut – über mit Erdnussbut­ter verschmier­te Hände und Gesichter zum Beispiel.“Prinzipiel­l aber sei es sicher nicht falsch, sein Baby auch mal im Heubett schlummern zu lassen und mit ihm gezielt in Birkenhain­en oder zwischen Haselnusss­träuchern spazieren zu gehen. Für bereits Betroffene wäre es allerdings günstiger, wüchsen solche Pflanzen nicht in ihrer Umgebung.

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Foto: underdogst­udios, fotolia „Hatschi!“Wenn die Pollen fliegen, haben Heuschnupf­engeplagte viel zu leiden.

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