Augsburger Allgemeine (Land West)
Ladendiebstahl kostet Handel viele Millionen
Egal ob Drogeriemarkt, Bekleidungsgeschäft oder Elektronikmarkt: Überall sind Langfinger unterwegs. Die Dunkelziffer ist hoch. Mit welchen Methoden sich viele Einzelhändler wehren
Eine Junge Frau testet in einem Drogeriemarkt Lippenstifte – verschiedene Farben und Marken. Das Angebot, sich beraten zu lassen, lehnt sie freundlich, aber bestimmt ab. Sie bleibt bei der Wahl zwischen Brombeere, Rosé oder doch einem Braunton lieber allein. Nach etwa einer Viertelstunde verlässt die Kundin, offenbar ohne das passende gefunden zu haben, den Laden. Was keiner merkt: Die junge Frau hat sich durchaus für einen Lippenstift entschieden – und dazu, ihn in einem unbeobachteten Moment lieber in der Tasche verschwinden zu lassen, als ihn zu bezahlen.
In Bayern entsteht so jährlich ein Schaden von rund 340 Millionen Euro. Für Schwaben bilanziert der Geschäftsführer des Schwäbischen Handelsverbands, Wolfgang Puff, die Summe auf etwa 56 Millionen Euro. Zahlen für den Wirtschaftsraum Augsburg lassen sich nicht ermitteln. „Ladendiebstahl betrifft alle Einzelhandelsbetriebe – ausnahmslos“, sagt er. Jedes Unternehmen rechne mit einem Umsatzverlust durch Diebstahl von einem bis 1,5 Prozent pro Jahr. Darin enthalten sei auch Ware, die von den eigenen Angestellten oder dem Lieferanten abgezweigt worden sind.
So offen wie Wolfgang Puff will von den Unternehmensvertretern keiner über das Thema Diebstahl reden. Interviewanfragen werden abgelehnt. Lediglich Ulrich Hartmann, Geschäftsführer des Mediamarkts in der Eichleitnerstraße, ist zu einem Gespräch bereit. In seinem Laden seien vor allem mobile Endgeräte, also Tablets oder Smartphones, von Diebstahl betroffen. Eine Schadenssumme nennt er nicht. Nur so viel: Diebstahlprävention sei ein wichtiges Thema bei Mediamarkt. Man beobachte in Augsburg eine Zunahme an Delikten.
Einen generellen Anstieg von Ladendiebstahl kann die Polizei Augsburg allerdings nicht bestätigen. Nach 1344 angezeigten Diebstählen 2014, 1501 in 2015 und 1393 Anzeigen für 2016 seien die Zahlen, abgesehen von kleineren Schwankungen, auch im Vergleich zu den Jahren zuvor stabil, so Pressesprecher Manfred Gottschalk. Das Problem allerdings: „Die Dunkelziffer ist bei Ladendiebstahl sehr hoch“, gibt er zu bedenken. Das weiß auch Wolfgang Puff. „Wir bewegen uns da bei etwa 90 Prozent“, ordnet er ein. In manchen Fällen sei es die Scheu der Unternehmer, Anzeige zu erstatten, weil man die Polizei nicht im Haus haben wolle. Oft blieben Delikte aber schlichtweg auch unbemerkt. Wie das sein kann? Gründe gibt es verschiedene, sagen Gottschalk und Puff. Zum einen spiele die Unübersichtlichkeit vieler Warenhäuser, Elektro- oder Baumärkte den Dieben in die Karten. Sie können weitestgehend im Verborgenen agieren. Zum anderen litten manche Geschäfte unter Personalmangel, sodass nicht jedem Kunden und seinem Verhalten ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden könne. Und das Wesentliche: Die Maschen der Diebe werden immer ausgefuchster. Wie etwa die Handtasche, die als Trojanisches Pferd benutzt wird. In dem Fall legt der Täter die präparierte Tasche auf einen Warenstapel und gibt vor, in der Tasche etwas zu suchen. Tatsächlich aber öffnet er eine Klappe im Boden der Handtasche und lässt die Ware darin verschwinden.
Zudem ist ein Ladendieb nur schwer auszumachen. Denn den klassischen Dieb gibt es nicht. Langfinger stammen laut Puff aus allen Alters- und Bevölkerungsschichten. Ihre Motive sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Bei Jugendlichen ist es die Mutprobe, um vor Freunden gut dazustehen, bei anderen ist es tatsächlich die Not und wieder andere sind für Banden, also organisiert, unterwegs. Was Puff sagen kann, ist, dass die Bandenkriminalität eher in größeren Städten anzutreffen ist, auf dem Land schlägt dagegen meist der Einzeltäter zu.
Um sich gegen Diebstahl zu Wehr zu setzen, greifen Einzelhändler zu verschiedenen Methoden. Während in größeren Geschäften häufig Ladendetektive unterwegs sind, Videoüberwachung eingesetzt wird oder kostenintensive elektronische Diebstahlsicherungen zum Einsatz kommen, müssen kleinere Einheiten auf günstigere Mittel setzen. Sie versuchen durch den Ladenbau Übersichtlichkeit zu schaffen oder mit Plakaten im Schaufenster Ladendiebe von vornherein abzuschrecken. Dass es sich lohnt, aufmerksam zu sein, zeigt eine weitere Statistik. Die Aufklärungsquote der Polizei beträgt um die 95 Prozent, wenn Angestellte oder Warenhausdetektive den Diebstahl bemerkt haben und diesen melden.
Über Ladendiebstahl will kaum einer sprechen