Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn Leere mit Schönheit verwechselt wird
Gastspiel Das Metropoltheater München zeigt im Parktheater Göggingen das wunderbare Stück „Kinder des Olymp“
Paris als Sin City des frühen 19. Jahrhunderts. Auf den Straßen treiben sich erfolglose Schauspieler herum, an jeder Ecke werden die Taschen leer geräumt und in den Spelunken planen Verbrecher ihren nächsten Mord. Verloren in diesem Sumpf wandelt die schöne Garance, die sich als starke und selbstbewusste Frau gibt. Schnell werden vier – nicht Männer, sondern Typen auf sie aufmerksam, umgarnen sie und beginnen mit ihr einen wilden Liebesreigen. Was für die Verliebten an Garance, die sich selbst als „einfach“beschreibt, so begehrenswert erscheint, ist jedoch nicht sie selbst. Vielmehr bietet sie aus ihrer Selbstverlorenheit heraus eine wunderbare Projektionsfläche für die Sehnsüchte ihrer Betrachter. Sie verwechseln Leere mit Schönheit. Garance bleibt nicht passiv. Sie will gefallen. Die Rolle, die man ihr zuspricht, spielt sie mit. Damit erinnert sie an Wedekinds Lulu.
Soweit die Ausgangssituation des französischen Films „Kinder des Olymps“(1945), den das Münchner Metropoltheater für die Bühne adaptierte und nun als Gastspiel im Parktheater Göggingen poetisch inszenierte. Bis auf einen scharlachroten Vorhang ist die Spielfläche leer. Eine geniale Reduzierung. Der Raum muss alleine durch das Spiel gefüllt werden, was gelingt. Es entsteht Platz für die Handlung und die Imagination des Zuschauers.
Einer der vier Verliebten ist der Pantomime Baptiste, ein melancholischer Träumer. Wie auch die anderen Personen des Stücks ist er unfähig, über sein Innenleben zu sprechen. So klingt es nicht offenbarend, wenn er Garance beim ersten Kennenlernen seine Liebe gesteht, sondern hilflos. Philipp Moschitz spielt die Figur mit viel Zartheit. Es sagt Dinge wie: „Es ist wunderbar. Alles. Das Leben“– aber sein Gesicht spricht eine andere Sprache.
Ebenfalls fasziniert von Garance, ist Lacenaire, ein poéte-assassin, ein Dichter-Mörder, der von Liebe schreibt, ohne solche zu empfinden – bis er der schönen Frau begegnet. Und dann ist da der arme Schauspieler, der sich schnell in einer OthelloInszenierung glaubt. Schließlich tritt der blutleere Graf de Monteray auf, der Garance kauft und das Liebeskarussell vorerst anhält. Bis Garance, von ihrem Leben gelangweilt, doch wieder aufspringt. Damit beginnt der Reigen von vorne und endet in der Katastrophe.
Die innere Überspanntheit der Figuren zeigen die Darsteller mit zum Teil stark übertriebenem Spiel, eine Hommage an die Filmvorlage, dessen flirrende Atmosphäre, getragen durch Jahrmarkts- und Varietémusik, von Beginn an im Publikumsraum ankommt. Leider scheint das Ensemble unter der Regie von Jochen Schölch der Dynamik dieser sich aus den Personen ergebenden Stimmung nicht völlig zu vertrauen. Vor allem in der ersten Hälfte wird immer wieder Slapstick eingebaut, der bei der Sanftheit dieser Geschichte plump wirkt.
Nach der Pause aber kann sich das Gefühl der Melancholie und Einsamkeit, von dem in „Kinder des Olymp“erzählt wird, im Raum entfalten, es harmoniert wunderbar mit der einmaligen Kulisse des Parktheaters.