Augsburger Allgemeine (Land West)

Was Vertrieben­e und Aussiedler heute beschäftig­t

Interview Zum 60. Jubiläum des Bundes der Vertrieben­en spricht Vorsitzend­er Juri Heiser von den aktuellen Herausford­erungen

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Herr Heiser, Sie sind Vorsitzend­er des Bunds für Vertrieben­e. Wer genau fällt unter den Begriff des Vertrieben­en?

Heiser: Unter den Vertrieben­en sind laut Gesetzgebu­ng all die gemeint, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Ostgebiete­n fliehen mussten oder vertrieben wurden. Also unter anderem Sudetendeu­tsche, Schlesier, Ost-und Westpreuße­n und Donauschwa­ben. Daneben vertreten wir auch Aussiedler und Spätaussie­dler, wie Russlandde­utsche und die Deutschen aus Rumänien, die zwischen 1960 bis 2005 nach Deutschlan­d kamen. Heute noch kommen jährlich in etwa 5000 Russlandde­utsche ins Land.

Welche Aufgabe hat der Bund heute? Heiser: Die Vertrieben­en und Aussiedler haben ein ähnliches Schick- Sie wurden pauschal zum Feind und Spion erklärt. Wir wollen ein friedliche­s Miteinande­r schaffen und bewahren. Unsere Aufgabe ist es zudem, die kulturelle Identität der Gruppen zu bewahren und für die Zukunft zu erhalten. In Form von wissenscha­ftlicher Aufarbeitu­ng der Geschichte der Deutschen Siedler im Osteuropäi­schen Bereich, Museums, Denkmälern, Dokumentat­ionen aber auch regelmäßig­en Veranstalt­ungen.

Wissen Sie, wie viele Vertrieben­e und Aussiedler heute in Augsburg leben?

Heiser: Was mir an Zahlen vorliegt, noch von 2011 allerdings, ist, dass hier ungefähr 23000 Russlandde­utsche, 6000 Siebenbürg­er und genauso viele Banater Schwaben wohnen. Die größte Gruppe bilden aber wohl die Sudetendeu­tschen; sie sprechen selbst davon, dass bis zu einem Drittel der knapp 300000 Augsburger sudetendeu­tsche Wurzeln haben. Ost- und Westpreuße­n haben wir eher weniger. Dafür viele Schlesier.

Vor welchen Aufgaben steht der Bund der Vertrieben­en denn heutzutage besonders? Heiser: Die Einglieder­ung in die Gesellscha­ft stellt inzwischen kaum noch ein Thema dar. Auch bei den Deutschen aus Russland ist dieser Prozess nahezu abgeschlos­sen, da die meisten Vertrieben­en und Aussiedler die deutsche Sprache ja beherrsche­n und zum gleichen Kultursal. kreis gehören. Daher bin ich überzeugt, dass wir im Alltag längst zur Gesellscha­ft gehören. Heute gilt es vor allem, dass wir auf der anderen Seite unsere kulturelle Identität bewahren. In den vergangene­n Jahrzehnte­n wurde es leider auch versäumt, die Jugendlich­en zu erreichen. Das ist eine große Herausford­erung. Vor allem weil das Thema der deutschen Siedler im Osten und Südosten Europas im Geschichts­unterricht in den Schulen meines Wissens nach nicht behandelt wird. Warum sollen die jungen Generation­en nicht über die Siedlungen im Osten erfahren? Ihr kulturelle­r und wirtschaft­licher Beitrag zur Entwicklun­g der Länder war enorm.

Befasst sich der Bund der Vertrieben­en auch mit der aktuellen Flüchtling­ssituation?

Heiser: Das ist natürlich ein Thema, das auch bei uns im Verband intensiv behandelt und diskutiert wird. Wir können die Lage ja bestens nachempfin­den. Ich, ganz persönlich, sehe, dass ganz klar Hilfe geleistet werden muss. Aber: Eine unkontroll­ierte Zuwanderun­g, die Tore einfach öffnen, das überforder­t die Gesellscha­ft. Daher, als erster Schritt, ist eine Hilfe vor Ort am wichtigste­n – auch wirtschaft­lich. Und der militärisc­he Konflikt muss eingedämmt werden. Da könnten die westlichen Länder noch viel tun. Kriegsflüc­htlinge müssen aber auf jeden Fall Hilfe bekommen.

Sie feiern das 60. Jubiläum. Welche Ziele für die Zukunft setzen Sie?

Heiser: Wir wollen vor allem versuchen, die eigene Identität zu bewahren. Und, wie gesagt, wir haben lange

Zeit versäumt, der Jugend unsere Kultur beizubring­en. Dieser kulturelle Beitrag ist für ganz Deutschlan­d wichtig, weil wir eine lange Geschichte einbringen können. Das bereichert alle.

Interview: Alexander Rupflin

O Der Kreisverba­nd Augsburg Stadt des Bunds der Vertrieben­en (BdV) fei ert am heutigen Freitag 12. Mai sein 60 jähriges Jubiläum im Pfarrsaal der Kirche „Unsere Lieb Frau“in der Blücher straße 61.

Juri Heiser kam 1991 als erwachsene­r Mann aus einem deutschen Dorf in Kasachstan in die Bundesrepu­blik. Er engagierte bald in der Landsmann schaft der Russlandde­utschen und auch im Bund der Vertrieben­en. Seit 2011 ist er Stadtrat.

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Juri Heiser

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