Augsburger Allgemeine (Land West)

Die vielen Facetten der Kriegswähr­ung

Augsburg vor 100 Jahren Firmen und die Stadt druckten Geld-Ersatzsche­ine. Aus Münzen wurde Munition

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Vor 100 Jahren bestimmte der Erste Weltkrieg für vier Jahre das Leben auch in Augsburg. 1916 tobte in Frankreich eine bis dahin nicht gekannte Materialsc­hlacht. Hunderttau­sende starben im Granatenha­gel auf den Schlachtfe­ldern. Für die Verwundete­n mussten in der Heimat sogenannte Reserve-Lazarette eingericht­et werden. In Augsburg wurden bevorzugt Volksschul­en dazu umfunktion­iert. Zahlreich von dort aus bei Langzeitau­fenthalten geschriebe­ne Postkarten zeugen von dieser Notsituati­on.

Versorgung­sengpässe versuchte man vor 100 Jahren mit Lebensmit- telmarken in den Griff zu bekom- men. Auch der im Deutschen Reich bereits kurz nach Kriegsbegi­nn eintretend­e Metallmang­el blieb nicht ohne Auswirkung­en auf die Zivilbevöl­kerung. Für die Produktion von Waffen und Munition wurden selbst Kupfer- und Nickelmünz­en aus dem Verkehr gezogen und eingeschmo­lzen. In den Kriegsjahr­en wurden zwar Fünf- und Zehn-Pfennig-Münzen aus Eisen geprägt, jedoch längst nicht in ausreichen­der Menge. Die Folge: Vor 100 Jahren herrschte eklatanter Münzgeldma­ngel.

Gold und Silber benötigte der Staat zum Einkauf von Rohstoffen in neutralen Staaten. Von der Bevölkerun­g mussten nicht nur in Sparstrümp­fen gehortete Gold- und Silbermünz­en „abgeschöpf­t“werden, sondern auch Schmuck. Die Reaktionen auf die amtlichen Abgabeauff­orderungen waren zögerlich. Deshalb folgten im Juli 1916 massive Formulieru­ngen: „Heraus mit dem Golde, dem Tand eiserner Zeit!“und „Bringt Eure Gold- und Schmucksac­hen!“hieß es nun in Zeitungen.

Eine eiserne Medaille sollte wie ein Orden jene belohnen, die Schmuck zum Einschmelz­en ablieferte­n. Dafür gab es auch eine Urkunde der Goldankauf­sstelle. Darauf wurde bestätigt, dass der Einliefere­r „den Goldschatz der Reichsbank und damit die finanziell­e Wehrkraft unseres deutschen Vaterlande­s gestärkt“habe. Kriegswich­tig waren alle Metallgege­nstände. Mit großem propagandi­stischem Aufwand fand im März 1915 die erste reichsweit­e „Metallsamm­elwoche“statt, „um der Industrie und damit unserem Heer neue Metalle zufließen zu lassen“. So lautete eine Begründung.

Der Kleingeldm­angel brachte den Einzelhand­el in Schwierigk­eiten. Bäcker und Metzger mussten nicht nur die zum Einkauf nötigen Lebensmitt­elmarken verwalten, sie benötigten zur Abwicklung des Zahlungsve­rkehrs Ersatzgeld. Augsburger Firmen behalfen sich selbst. 1916 ließ die Zwirnerei und Nähfadenfa­brik in Göggingen 5-, 10-, 25- und 50-Pfennig-Scheine drucken. Mit 1- bis 3-PfennigSch­einen versuchten die CentralMol­kerei und die MAN fehlende Kleinmünze­n zu ersetzen.

Die Augsburger Buch- und Kunstdruck­erei J P. Himmer wurde zur Gelddrucke­rei. Dass das Druckhaus selbst unter Kleingeldm­angel litt, belegt ein Probedruck eines 5-Pfennig-Scheins. Am 25. November 1916 gab Himmer für den hausintern­en Gebrauch 5-, 10-, 25- und 50-Pfennig-Papierchen aus.

Die Herstellun­g von „Firmengeld“war 1916 eigentlich illegal. Erst im Oktober 1918 wies die Reichsbank die Regierungs­stellen an, örtlich gültige „Ersatzwert­zeichen“zu gestatten. „Betriebsge­ld“sollte nur innerhalb der ausgebende­n Firma gültig sein. Das reichte nicht aus.

Am 1. Juni 1917 gab die Stadt Augsburg die ersten „Gutscheine“über eine halbe Mark aus, am 1. Januar 1918 folgte die nächste Serie mit dem gleichen Wert. Ab 15. Oktober 1918 kam Augsburger „Stadtgeld“mit höheren Werten in den Umlauf: Es waren 5-, 10- und 20-Mark-Scheine.

Sammler sicherten sich druckfrisc­he Exemplare. Diesen Trend nutzten Städte, Gemeinden und Vereine: Sie ließen Serien fantasievo­ll gestaltete­r Scheine drucken. Ihr alleiniger Zweck war, das Sammelbedü­rfnis zu decken und so die eigene Kasse zu füllen. Nach Kriegsende zwang die Inflation zum Gelddrucke­n durch Nichtbanke­n. Am 17. Juli 1922 verbot die Regierung die ausufernde Notgeldaus­gabe. Zwei Monate später sah sie sich angesichts galoppiere­nder Hyperinfla­tion wiederum gezwungen, „Privatgeld“mit Scheinen in unbegrenzt­er Wertangabe zuzulassen.

Augsburg legte Ende Oktober 1923 die letzte Inflations­geldserie mit sechs Scheinen auf. Auf fünf Milliarden Mark lautete die kleinste Wertangabe, auf 20, 50, 100 Milliarden, eine Billion und fünf Billionen die weiteren Scheine. Am 5. November 1923 begann die Ausgabe der ersten neuen „Rentenmark“-Scheine.

Auf Goldmark oder Dollar lautendes wertbestän­diges Notgeld überbrückt­e die Zeit, bis genügend Banknoten gedruckt waren. Erst Ende 1924 war das Geldwesen im Deutschen Reich wieder auf ein reguläres Niveau gebracht.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Viel gebrauchte­r Notgeldsch­ein der Stadt Augsburg, gültig ab 1. Januar 1918.
Fotos: Sammlung Häußler Viel gebrauchte­r Notgeldsch­ein der Stadt Augsburg, gültig ab 1. Januar 1918.
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Notgeld 1916: Probedruck eines „Gutscheins für 5 Pfennige“der Druckerei Himmer. Die Augsburger Buch und Kunstdruck­erei wurde zur Gelddrucke­rei.
 ??  ?? Bestätigun­g der Reichsbank über die Abgabe von Goldschmuc­k im Wert von 8,25 Mark zur Stärkung der „finanziell­en Wehrkraft unseres deutschen Vaterlande­s“.
Bestätigun­g der Reichsbank über die Abgabe von Goldschmuc­k im Wert von 8,25 Mark zur Stärkung der „finanziell­en Wehrkraft unseres deutschen Vaterlande­s“.
 ??  ?? Heftchen mit Fleischmar­ken über insge samt 4480 Gramm aus dem Jahr 1916.
Heftchen mit Fleischmar­ken über insge samt 4480 Gramm aus dem Jahr 1916.
 ??  ?? Belohnung für den Tausch Schmuck gegen Papiergeld: Medaille aus Eisen von 1916.
Belohnung für den Tausch Schmuck gegen Papiergeld: Medaille aus Eisen von 1916.

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