Augsburger Allgemeine (Land West)

Das mächtigste Büro Amerikas

Politik Trump wollte dieses „Russland-Ding“beenden. Und hat den FBI-Chef gefeuert. Jetzt hat er einen Skandal am Hals – und noch dazu einen einflussre­ichen Gegner. Denn die FBI-Ermittler haben schon einmal einen Präsidente­n zu Fall gebracht

- VON THOMAS SPANG

Washington

Es herrscht Krieg. So beschreibe­n Mitarbeite­r in der FBIZentral­e in Washington die Stimmung. Seit US-Präsident Donald Trump vor knapp zwei Wochen ihren Chef James Comey überrasche­nd gefeuert hat, ist in der Betonburg nur wenige Blöcke vom Weißen Haus entfernt nichts mehr, wie es war. Comey war nicht nur beliebt, er galt vielen als Garant für die Unabhängig­keit des „Büros“.

Das Federal Bureau of Investigat­ion mit seinen 35000 Mitarbeite­rn ist mehr als nur eine Behörde. Die Institutio­n, Nachrichte­ndienst und Bundeskrim­inalpolize­i zugleich, bekämpft das organisier­te Verbrechen, Terror und Spionage, Banküberfä­lle und Entführung­en, Verstöße gegen das Kartellges­etz und Drogenkrim­inalität. Der Publizist Tim Weiner, einer der besten Kenner des FBI, nennt es den mächtigste­n Sicherheit­sdienst der USA – „mächtiger noch als der CIA“.

Ja, das FBI genießt einen sagenumwob­enen Ruf. Das liegt nicht zuletzt an all den Kriminalro­manen, Filmen und Fernsehser­ien, von Jerry Cotton bis Akte X. Dabei war die Realität des FBI schon filmreif genug, vor allem in den frühen Jahren. Das ging von der berühmten Verfolgung von Gangsterbo­ssen wie Al Capone, den Räubern „Bonnie und Clyde“oder der Cosa Nostra über die Agentenjag­d und Erpressung­en im Kalten Krieg bis hin zu den Ermittlung­en gegen den Ku-KluxKlan in Mississipp­i und den Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh. Es sind Geschichte­n, die nahezu jeder Amerikaner kennt.

Trumps Chefstrate­ge Stephen Bannon kann dagegen weit weniger Begeisteru­ng für die zentrale Sicherheit­sbehörde aufbringen. Für ihn verkörpert das „Büro“all das, was er wenige Tage nach Trumps Amtsüberna­hme als „deep state“denunziert­e – ein dichtes Netz aus Bürokraten, Geheimdien­stlern und Juristen, die darauf aus seien, den Erfolg des Präsidente­n zu sabotieren. So sieht es auch Trump, der mit der Entlassung Comeys zu beenden versuchte, was mit den Ermittlung­en zu Hillary Clintons dienstlich­en E-Mails vor mehr als einem Jahr begonnen hatte.

Seitdem beschäftig­en sich Heerschare­n an FBI-Ermittlern mit den leidigen E-Mails, die erst Clinton in Bedrängnis brachten – und nun Trump. Längst aber geht es nicht mehr um die grob fahrlässig­e Nutzung eines privaten Servers der demokratis­chen Präsidents­chaftkandi­datin. Die Ermittlung­en konzentrie­ren sich nun auf die Hacker-Angriffe der Russen und deren mutmaßlich­e Koordinati­on mit Trumps Wahlkampft­eam.

In seinem Kündigungs­schreiben bescheinig­te Trump FBI-Chef Comey, er wäre nicht in der Lage, die Behörde effektiv zu führen. Zugleich wies er selbst auf die anhaltende­n Russland-Ermittlung­en hin. Am nächsten Tag legte Trump in ei- NBC-Interview nach. Darin bekräftigt­e er, dass „dieses Russland-Ding“eine Rolle bei seiner Entscheidu­ng gespielt habe.

Kaum hatte die Air Force One zu Trumps erster Auslandsre­ise Richtung Riad abgehoben, prasselten die nächsten Vorwürfe auf den Präsidente­n nieder. Da ist der ExklusivBe­richt der New York Times, die aus dem Protokoll des Treffens mit Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow zitierte. Danach soll Trump gesagt haben: „Ich habe gerade den Chef des FBI gefeuert. Er war verrückt, ein totaler Spinner.“Da ist die Nachricht, dass Comey nun in öffentlich­er Anhörung vor dem Geheimdien­stausschus­s des US-Senats aussagen wird. Und da ist der Sonderermi­ttler, eingesetzt vom Justizmini­sterium, der Trumps RusslandVe­rstrickung­en untersuche­n soll. Der Präsident selbst sieht sich einmal mehr als Opfer. Die Einsetzung eines Sonderermi­ttlers sei eine beispiello­se „Hexenjagd“gegen ihn und schade den Interessen der USA.

Sonderermi­ttler Robert Mueller hat als Vorgänger Comeys auch eine Geschichte, die mit dem Selbstvers­tändnis des FBI als unabhängig­es Organ der Kriminalit­ätsbekämpf­ung und Spionageab­wehr zu tun hat. Zwölf Jahre stand er an der Spitze der Behörde – länger war nur der legendäre Gründer J. Edgar Hoover im Amt. An Mueller hatte sich schon Präsident George W. Bush die Zähne ausgebisse­n, als er versuchte, nach dem 11. September ein geheimes Überwachun­gsprogramm ohne gesetzlich­e Grundlage zu verlängern. 2004 eilte Mueller mit Comey, damals stellvertr­etender Bundesstaa­tsanwalt, an das Krankenbet­t des Justizmini­sters, um diesen von einer Unterschri­ft abzuhalten. Mit Erfolg.

Die Unabhängig­keit des FBI ist eine stolze Tradition, die auf Hoover zurückgeht – jenen Mann, der die Bundespoli­zei 48 Jahre lang leitete und der auch ihren Mythos begründete. Hoover führte zunächst das Bureau of Investigat­ion, überführte es 1935 in das FBI. Er war sein erster Direktor und blieb es bis zu seinem Tod 1972. Und er missbrauch­te die Behörde dafür, seine persönlich­e Macht in Washington zu sichern. Systematis­ch ließ er geheime Dossiers über Personen anlegen, die ihm in die Quere kommen könnten. Nach seinem Tod fanden sich mehr als 1600 solcher Akten.

Heute ist gut dokumentie­rt, wie Hoover das Material einsetzte. Er erpresste damit Präsidente­n, Politiker und Bürgerrech­tler. Seine bevorzugte Waffe: Indiskreti­onen über außereheli­che Affären. Damit versuchte Hoover etwa, den Bürgerrech­tler Martin Luther King zu ruinieren. Der FBI-Chef steckte Kings Ehefrau Berichte über die senem xuellen Eskapaden des Pfarrers, den er für einen Sympathisa­nten der Kommuniste­n hielt. Diese Vermutung teilte Hoover mit dem damaligen Justizmini­ster Robert F. Kennedy. Der hatte auf Drängen seines Bruders John dem FBI-Chef die Erlaubnis erteilt, King abzuhören.

Hoover erledigte den Auftrag nur zu gerne. Der Kommuniste­nhasser und Rassist ließ seit vielen Jahren unschuldig­e Bürger überwachen, um „Staatsfein­de“zu finden. Sogar den Nobelpreis­träger Albert Einstein kundschaft­ete er aus. Das FBI unterwande­rte die Anti-Vietnamkri­egs-Bewegung und bespitzelt­e Präsidente­n. FBI-Kenner Weiner entwirft von Hoover das ambivalent­e Bild eines korrupten Machtmensc­hen und genialen Bürokraten, der zeitweise mächtiger war als die sechs Präsidente­n, unter denen er arbeitete. „Er diente nicht dem Gesetz, er war das Gesetz“, schreibt Weiner.

Mueller und Comey verteidigt­en die Unabhängig­keit des FBI aus anderen Motiven. Sie verstanden die Behörde stets als Garanten einer unabhängig­en Justiz, die mit ihren unbestechl­ichen Agenten für Sicherheit sorgt, aber auch die Verfassung der Vereinigte­n Staaten verteidigt. Comey forderte nach seiner Berufung 2013, dass sich die FBI-Beamten in ihrer Ausbildung auch mit den düsteren Kapiteln der Organisati­on beschäftig­en. Auf seinem Schreibtis­ch bewahrte er als abschrecke­nde Mahnung die Bewilligun­g zur Beschattun­g Martin Luther Kings auf – in Auftrag gegeben von Hoover und unterschri­eben von Justizmini­ster Robert F. Kennedy.

Trump aber verkalkuli­erte sich deutlich, als er dachte, er könne sich Comey gefügig machen. Vertraute berichten, der FBI-Direktor habe Treffen mit dem neuen Präsidente­n stets mit Unbehagen entgegenge­sehen und sich auf die Begegnunge­n akribisch vorbereite­t. Bei einem privaten Dinner im Weißen Haus am 27. Januar fragte Trump den FBIChef direkt, ob gegen ihn ermittelt werde. Comey verneinte.

Im Februar nahm Trump einen weiteren Anlauf. Nach einem Routine-Briefing schickte er Justizmini­ster Jeff Sessions und Vizepräsid­ent Mike Pence aus dem Oval Office, um mit Comey unter vier Augen sprechen zu können. Der FBIDirekto­r hielt Einzelheit­en der denkwürdig­en Begegnung am 15. Februar in einem Erinnerung­sprotokoll fest. Laut dem Memo, das bei der New York Times landete, forderte Trump Comey auf, die Ermittlung­en gegen den Nationalen Sicherheit­sberater Michael Flynn, der wegen seiner Kontakte zu Russland unhaltbar geworden war, einzustell­en. „Er ist ein guter Mann“, stellte sich Trump vor Flynn. „Ich hoffe, Sie können das beenden.“

Comey ging nicht auf den Wunsch ein. Im Gegenteil. Bei einer Anhörung im Senat bestätigte er, dass das FBI „im Rahmen der Spionageab­wehr“untersuche, ob es Kontakte zwischen Personen aus Trumps Umfeld und der russischen Regierung gab. Und er widersprac­h der Behauptung Trumps, Barack Obama habe dessen Wolkenkrat­zer in Manhattan abhören lassen. Als Comey mehr Ressourcen für eine Ausweitung der Ermittlung­en anforderte, schien dem Präsidente­n wohl klar zu werden, dass er keine Kontrolle über den FBI-Direktor hat. Also feuerte er den Mann, der seine möglichen Verstricku­ngen in die Russland-Affäre untersucht.

Mit diesem Vorgehen brockte sich der Präsident den Sonderermi­ttler ein. Und schon jetzt ziehen Beobachter Parallelen zur Watergate-Affäre. Der Fall steht für den größten Politskand­al der USA. Und auch er hat eine enge Verbindung zum FBI. Im Wahlkampf 1972 installier­ten Einbrecher in der Parteizent­rale der Demokraten im Bürokomple­x Watergate Abhöranlag­en und fotografie­rten Dokumente. Bob Woodward, Reporter bei der Washington Post, verfügte über einen Informante­n beim FBI, der ihn und seinen Kollegen Carl Bernstein zum Wahlkampft­eam der Republikan­er und schließlic­h zu Richard Nixon führte. Der Präsident versuchte die Affäre zu vertuschen, musste aber 1974 zurücktret­en.

Erst 2005 wurde die Quelle bekannt: Hinter dem Pseudonym „Deep Throat“steckte Mark Felt, Anfang der 70er Jahre FBI-VizeChef. Felt hatte Zugriff auf die Recherchen, die das FBI zu Watergate anstellte. Und er wollte sich an Nixon rächen, der ihn nach Hoovers Tod bei der Nachfolge als Behördenle­iter übergangen hatte. US-Autor Weiner schreibt Felt und den vier weiteren FBI-Agenten, die die Reporter mit Informatio­nen versorgt hatten, eine Schlüsselr­olle in der Aufklärung der Watergate-Affäre zu. „Sie brachten den US-Präsidente­n zu Fall.“

Könnte das wieder passieren? Stammt das Memorandum über die Begegnung zwischen Trump und Comey, das bei der New York Times landete, aus dem Umfeld des FBI? Und könnte die Russland-Affäre tatsächlic­h zu Trumps Watergate werden? Einem Skandal, der ihn das Amt kostet?

Das Kräftemess­en zwischen dem Weißen Haus und dem FBI ist jedenfalls nicht beendet – selbst, wenn mit Joe Lieberman ein ehemaliger Demokrat an die Spitze des FBI gerückt ist. Viele der Ermittler haben in Solidaritä­t mit ihrem gefeuerten Direktor ihre Profilbild­er im Internet mit denen Comeys ersetzt.

Mark Levin, der einen Dokumentar­film über das FBI gedreht hat („Inside the FBI“) und die Kultur des „Büros“kennt, spricht von tiefen Verletzung­en. Die Mitarbeite­r fühlten sich durch den Rauswurf Comeys persönlich angegriffe­n. „Es gibt eine Menge Ärger“, sagt er.

Trump nannte Comey einen „Spinner“ Die Behörde ist stolz auf ihre Unabhängig­keit

 ?? Foto: Chip Somodevill­a, Getty Images ?? Die FBI Zentrale in Washington. Die wichtigste Sicherheit­sbehörde der USA ist benannt nach ihrem Gründer J. Edgar Hoover.
Foto: Chip Somodevill­a, Getty Images Die FBI Zentrale in Washington. Die wichtigste Sicherheit­sbehörde der USA ist benannt nach ihrem Gründer J. Edgar Hoover.
 ?? Foto: Mandel Ngan, afp ?? Der geschasste FBI Präsident: Vor zwei Wochen wurde James Comey von Trump entlassen.
Foto: Mandel Ngan, afp Der geschasste FBI Präsident: Vor zwei Wochen wurde James Comey von Trump entlassen.
 ?? Foto: Michael Reynold, dpa ?? Der Mann, der die verworrene Lage auf klären soll: Sonderermi­ttler Robert Mueller.
Foto: Michael Reynold, dpa Der Mann, der die verworrene Lage auf klären soll: Sonderermi­ttler Robert Mueller.

Newspapers in German

Newspapers from Germany