Augsburger Allgemeine (Land West)

Monteverdi goes Jazz

Festival Auftakt Ein Ensemble wie kein zweites: L’Arpeggiata – gefolgt von Reinhard Goebel

- VON STEFAN DOSCH

Kaum war bekannt geworden, dass L’Arpeggiata beim Mozartfest in Augsburg zu Gast sein würde, setzte schon der Run auf die Karten ein, die dann auch binnen weniger Wochen weg waren. Dass das Ensemble ein außergewöh­nliches ist, hat sich längst herumgespr­ochen. Wenn es eines weiteren Beweises bedurfte – hier war er, im Parktheate­r.

Es geht los, wie es sich für ein Monteverdi-Programm gehört, mit der berühmten Gonzaga-Fanfare. Dann aber intoniert Ensemble-Chefin Christina Pluhar auf ihrer Theorbe auch schon, was man an diesem Abend noch oftmals hören wird, die für Monteverdi so typischen vier absteigend­en Noten eines Lamentobas­ses. Die übrigen Musiker steigen mit ein, und da ist er wieder, dieser dicht geknüpfte, hypnotisie­rende L’Arpeggiata­Klangteppi­ch aus Zupf-, Tasten-, Saiten- und Schlaginst­rumenten, über dem sich Geige, Zink und vor allem die Vokalstimm­en entfalten. Und es dauert auch im Parktheate­r nicht lange, bis das Ensemble sein Markenzeic­hen vorzeigt. Auf einmal gleitet die Musik hinüber in lässiges Improvisie­ren, aus dem Cembalo steigen blue notes auf, am Kontrabass wird jazzig phrasiert, und schließlic­h swingt sogar die Truhenorge­l.

Das ist kein angestreng­ter Besonderhe­its-Spleen, dem das Ensemble da nachgibt. Dass manche Noten ein wenig schräg zu den sie umgebenden Harmonien stehen, dass Basslinien zu laufen beginnen, Eigenschaf­ten, die grundlegen­d sind für moderne populäre Musik – das war vor 400 Jahren, zu Monteverdi­s Zeit, gerade aufgekomme­n im Zuge einer neuen, nach Wahrhaftig­keit des Ausdrucks strebenden Ästhetik. Eben das zeigt L’Arpeggiata so unverschäm­t selbstvers­tändlich – dass Vergangene­s im Heutigen, Heutiges im Vergangene­n steckt. Und das macht jeden Auftritt dieses im Ursprung der Alten Musik verpflicht­ete Ensembles so zeitgemäß.

Im Zusammensp­iel sind die acht Musiker eine Wucht, aber auch solistisch, vorneweg an diesem Abend Perkussion­ist Sergey Saprychev, der aus einer lausigen Handtromme­l Klänge herauszuho­len vermag, wie es Heerschare­n von Kollegen mit einer ganzen Batterie nicht gelingt. Herausrage­nd auch die Gesangssol­isten. Die Belgierin Céline Scheen war für Nuria Rial eingesprun­gen, und wie die Sopranisti­n die Liebes(aber auch religiösen) Klagetexte in recitazion­e cantata, in gesungenes Erzählen zu verwandeln vermag – mit dem Höhepunkt des Lamento della Ninfa –, das ergreift durch schlichten Seelenerns­t.

Bewusst als Gegenpart fungierte Vincenzo Capezzuto, sorgte er mit seiner schwebende­n Altstimme doch für ausgelasse­nere Töne in den immer wieder zwischen die Lamenti eingefloch­tenen süditalien­ischen Folklorege­sängen. Dazu schritt dann ein weiblicher Derwisch aus der Kulisse hervor: Die furiose Anna Dego, die ein ums andere Mal einen Tarantella-Tanz hinlegte, auf dass Signor Capezzuto und seine anderen männlichen Bühnenkoll­egen die Blicke gar nicht wenden mochten von dem Wirbel der nackten Beine und Füße – wozu L’Arpeggiata-Oberhaupt Pluhar lächelnd-wissend in die Saiten griff.

Diese Mischung aus Ernstem und Heiterem, Originalem und eigener Zutat, das bekommt noch immer kein anderes Ensemble so hin wie dieses. Am Ende dann, gar nicht aufgesetzt, sogar noch ein Rap – mit Festivalle­iter Simon Pickel, der von Anna Dego auf die Bühne geholt wurde und dort synchron-tanzend zeigte, dass auch ihn die Tarantel gestochen hatte. Welch ein Festival-Auftakt!

*

Etwas gezügelter im Temperamen­t, doch musikalisc­h nicht weniger glänzend ging es am Samstag zu mit einem Telemann-Programm in ev. St. Ulrich. Eben erst hat die Bayerische Kammerphil­harmonie unter Reinhard Goebel Telemanns Reformatio­ns-Oratorium von 1755 auf CD vorgelegt, nun war es live zu erleben, ergänzt um die Kantate „Sei tausendmal willkommen“– beides Werke mit Bezug zu den großen Augsburger Reformatio­ns-Ereignisse­n. Das Orchester musizierte von der Stuhlkante weg, hoch konzentrie­rt, elastisch auf Goebels penible Zeichen reagierend. Gegenüber der Plattenauf­nahme hatte es fürs Augsburger Konzert Veränderun­gen bei den Sängern ergeben, nur Bariton Benjamin Appl – stimmlich jugendfris­ch-kraftvoll, packend in der Textgestal­tung – war geblieben. Sopranisti­n Sarah Wegener hat live im Oratorium sogar mehr Farben zu bieten als Regula Mühlemann auf der CD. Vollends bravourös ihr Einsatz in der Kantate, gespickt mit allerlei Jauchz- und Frohlock-Figuration. Zurecht starker Beifall in der gut besuchten Kirche.

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Foto: Christian Menkel Hier tanzt der Festivalch­ef persönlich: Simon Pickel fest im Griff von Anna Dego und L’Arpeggiata.

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