Augsburger Allgemeine (Land West)
Monteverdi goes Jazz
Festival Auftakt Ein Ensemble wie kein zweites: L’Arpeggiata – gefolgt von Reinhard Goebel
Kaum war bekannt geworden, dass L’Arpeggiata beim Mozartfest in Augsburg zu Gast sein würde, setzte schon der Run auf die Karten ein, die dann auch binnen weniger Wochen weg waren. Dass das Ensemble ein außergewöhnliches ist, hat sich längst herumgesprochen. Wenn es eines weiteren Beweises bedurfte – hier war er, im Parktheater.
Es geht los, wie es sich für ein Monteverdi-Programm gehört, mit der berühmten Gonzaga-Fanfare. Dann aber intoniert Ensemble-Chefin Christina Pluhar auf ihrer Theorbe auch schon, was man an diesem Abend noch oftmals hören wird, die für Monteverdi so typischen vier absteigenden Noten eines Lamentobasses. Die übrigen Musiker steigen mit ein, und da ist er wieder, dieser dicht geknüpfte, hypnotisierende L’ArpeggiataKlangteppich aus Zupf-, Tasten-, Saiten- und Schlaginstrumenten, über dem sich Geige, Zink und vor allem die Vokalstimmen entfalten. Und es dauert auch im Parktheater nicht lange, bis das Ensemble sein Markenzeichen vorzeigt. Auf einmal gleitet die Musik hinüber in lässiges Improvisieren, aus dem Cembalo steigen blue notes auf, am Kontrabass wird jazzig phrasiert, und schließlich swingt sogar die Truhenorgel.
Das ist kein angestrengter Besonderheits-Spleen, dem das Ensemble da nachgibt. Dass manche Noten ein wenig schräg zu den sie umgebenden Harmonien stehen, dass Basslinien zu laufen beginnen, Eigenschaften, die grundlegend sind für moderne populäre Musik – das war vor 400 Jahren, zu Monteverdis Zeit, gerade aufgekommen im Zuge einer neuen, nach Wahrhaftigkeit des Ausdrucks strebenden Ästhetik. Eben das zeigt L’Arpeggiata so unverschämt selbstverständlich – dass Vergangenes im Heutigen, Heutiges im Vergangenen steckt. Und das macht jeden Auftritt dieses im Ursprung der Alten Musik verpflichtete Ensembles so zeitgemäß.
Im Zusammenspiel sind die acht Musiker eine Wucht, aber auch solistisch, vorneweg an diesem Abend Perkussionist Sergey Saprychev, der aus einer lausigen Handtrommel Klänge herauszuholen vermag, wie es Heerscharen von Kollegen mit einer ganzen Batterie nicht gelingt. Herausragend auch die Gesangssolisten. Die Belgierin Céline Scheen war für Nuria Rial eingesprungen, und wie die Sopranistin die Liebes(aber auch religiösen) Klagetexte in recitazione cantata, in gesungenes Erzählen zu verwandeln vermag – mit dem Höhepunkt des Lamento della Ninfa –, das ergreift durch schlichten Seelenernst.
Bewusst als Gegenpart fungierte Vincenzo Capezzuto, sorgte er mit seiner schwebenden Altstimme doch für ausgelassenere Töne in den immer wieder zwischen die Lamenti eingeflochtenen süditalienischen Folkloregesängen. Dazu schritt dann ein weiblicher Derwisch aus der Kulisse hervor: Die furiose Anna Dego, die ein ums andere Mal einen Tarantella-Tanz hinlegte, auf dass Signor Capezzuto und seine anderen männlichen Bühnenkollegen die Blicke gar nicht wenden mochten von dem Wirbel der nackten Beine und Füße – wozu L’Arpeggiata-Oberhaupt Pluhar lächelnd-wissend in die Saiten griff.
Diese Mischung aus Ernstem und Heiterem, Originalem und eigener Zutat, das bekommt noch immer kein anderes Ensemble so hin wie dieses. Am Ende dann, gar nicht aufgesetzt, sogar noch ein Rap – mit Festivalleiter Simon Pickel, der von Anna Dego auf die Bühne geholt wurde und dort synchron-tanzend zeigte, dass auch ihn die Tarantel gestochen hatte. Welch ein Festival-Auftakt!
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Etwas gezügelter im Temperament, doch musikalisch nicht weniger glänzend ging es am Samstag zu mit einem Telemann-Programm in ev. St. Ulrich. Eben erst hat die Bayerische Kammerphilharmonie unter Reinhard Goebel Telemanns Reformations-Oratorium von 1755 auf CD vorgelegt, nun war es live zu erleben, ergänzt um die Kantate „Sei tausendmal willkommen“– beides Werke mit Bezug zu den großen Augsburger Reformations-Ereignissen. Das Orchester musizierte von der Stuhlkante weg, hoch konzentriert, elastisch auf Goebels penible Zeichen reagierend. Gegenüber der Plattenaufnahme hatte es fürs Augsburger Konzert Veränderungen bei den Sängern ergeben, nur Bariton Benjamin Appl – stimmlich jugendfrisch-kraftvoll, packend in der Textgestaltung – war geblieben. Sopranistin Sarah Wegener hat live im Oratorium sogar mehr Farben zu bieten als Regula Mühlemann auf der CD. Vollends bravourös ihr Einsatz in der Kantate, gespickt mit allerlei Jauchz- und Frohlock-Figuration. Zurecht starker Beifall in der gut besuchten Kirche.