Augsburger Allgemeine (Land West)
Wo eine Überraschung hinter jedem Hoftor wartet
Aktion In 77 Hinterhöfen stöbern Besucher am Samstag im Bismarckviertel nach Flohmarktwaren. Matchboxautos, Kleidung und Krimskrams wechseln die Besitzer. Das macht nicht nur die Veranstalter glücklich
Efeubewachsene Mauern, kleine verwinkelte Ecken oder großzügige Terrassen – hinter den Fassaden im Bismarckviertel verbergen sich eine Vielzahl von Hinterhöfen, die man von der Straße aus nur erahnen kann. Zum zweiten Mal haben am Samstag viele Bewohner ihre Tore und Einfahrten geöffnet und die Öffentlichkeit zu einem großen Hinterhofflohmarkt eingeladen. In fast 80 Höfen konnte man nach Herzenslust herumstöbern, einkaufen und die Architektur der Häuser bewundern. Orangefarbene Luftballons sind an diesem Tag das Erkennungszeichen, wo es etwas zu sehen gibt. Und natürlich die zahlreichen Schaulustigen und Käufer, die schon lange vor der offiziellen Eröffnung des Flohmarktes durch die Höfe schlendern. In der Singerstraße ist eine schmale Einfahrt an beiden Seiten komplett mit Ständen zugebaut. Auf Picknickdecken, aufeinandergestapelten Gemüsekisten und Tapeziertischen stapeln sich Haushaltsgegenstände und Krimskrams. Die dichte Thujenhecke, die sonst vor neugierigen Blicken vom Nachbargrundstück schützt, ist kurzerhand zum Kleiderständer umfunktioniert worden, an dem Sportklamotten neben Pullovern und ausgemusterten Kleidern hängen. Dazwischen stehen Campingstühle, auf denen Hausbewohner Platz genommen haben und die frühen Sonnenstrahlen genießen.
Ein Stück weiter steht an einem Stand Stefan Dornof mit einer Kiste Matchboxautos in der Hand. Die kleinen Modellfahrzeuge sind teilweise noch in der Originalverpackung, wenn sie auch sichtbar schon einige Jahre alt ist. Gerade ist er sich mit Verkäufer Sören Peter handelseinig geworden und nimmt die ganze Schachtel unter den Arm. „Das sind ganz seltene Modelle, die man nur schwer bekommt“, freut er sich über das Geschäft. Töchterchen Tilda, die ihren Papa aus dem Kinderwagen beobachtet, wird mit diesen Spielzeugautos wohl nicht spielen dürfen. „Die Qualität der Sachen ist hier viel besser als auf den herkömmlichen Flohmärkten, weil die Leute runterräumen, was sie in ihren Wohnungen stehen haben“, glaubt er. Auch der Verkäufer ist zufrieden. „Mir war wichtig, dass die Sammlung jemand bekommt, der selbst Freude daran hat, und nicht ein professioneller Weiterverkäufer“, so Sören Peter. Dann sei auch der Preis zweitrangig. Ganz die Nachbarn kennenzulernen und die Gemeinschaft im Stadtviertel zu stärken steht als Grundidee hinter den Flohmärkten, die fürs Bismarckviertel die Freundinnen Lea Demirbas, Marlene Kröhnert, Mara Weil und Gabriele Obermeier organisiert haben. Vorbild ist der Schwabinger Hinterhofmarkt, der seit Jahren die Menschen ins Stadtviertel zieht. In diesem Jahr fand in Augsburg zeitgleich auch noch ein Hinterhofflohmarkt in der Morellstraße und im Radauviertel in Göggingen statt. Im Bismarckviertel sind es heute 77 Höfe – im vergangenen Jahr waren es noch 50.
Dass so viele mitmachen, ist zum einen auf den großen Erfolg vom letzten Jahr zurückzuführen, aber auch auf sprichwörtliches Klinkenputzen, berichtet Lea Demirbas. „Wir sind gut vernetzt und haben in den letzten Wochen einfach ganz viele Häuser abgeklappert und mit den Menschen gesprochen, ob sie nicht mitmachen wollen“, sagt sie. Dass an diesem Tag das Stadtviertel so gut besucht ist, macht sie stolz und glücklich. „Es gibt hier so viele geheime, verwinkelte Gärtchen und es ist schön, dass die einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“, findet sie. „Wir sind seit Tagen aufgeregt, glücklich und elektrisiert, weil wir uns auf den Tag so gefreut haben.“Warum sich die Freundinnen den Organisationsaufwand angetan haben? „Wir mögen es halt gesellig – und jeder ist hier gut drauf“, sagt Demirbas. Bei all dem Internetverkehr, Facebook und Onlinehandel täte es gut, mal wieder Geschäfte von Angesicht zu Angesicht zu machen.
An der Kreuzung zur Neidhartstraße stehen Christina Lüers und ihre Freundin über einen Plan gebeugt, auf dem alle teilnehmenden Höfe eingezeichnet sind. 20 haben die beiden schon gesehen und sich fest vorgenommen, auch die restliunkompliziert chen 57 zu schaffen. „Wir haben unheimlich Spaß und die Höfe sind toll“, sagen sie. Und finden, dass die Aktion nächstes Jahr unbedingt auch in ihrem Stadtviertel Pfersee stattfinden soll.
Nicht nur Schnäppchenjäger kommen an diesem Tag zum Zug – in vielen Hinterhöfen haben die Bewohner Kleinigkeiten zum Essen und Trinken im Angebot. „Wir haben letztes Jahr schon alles verkauft, was wir herumstehen hatten – deshalb haben wir heute einfach unsere Espressomaschine mit runtergenommen“, sagt Nadine Matrullo. „Es macht unheimlich Freude, hier dabei zu sein und viele Menschen kennenzulernen“, findet sie. Wer ein Geschäft hat, freut sich an diesem Samstag auch über die vielen Zaungäste, die auch mal einen Blick in die Ladenräume werfen. „Ich verkaufe sicherlich nicht mehr als sonst, aber es ist hoffentlich gute Werbung für mich, sagt Gabriele Obermeier, die in ihrem Laden „Samobie“Kleider verkauft und heute schon etliche Interessenten, die sich beraten lassen wollten, vertrösten musste. Sie ist vor allem von der großen Hilfsbereitschaft im Viertel begeistert. „Da sieht man erst einmal, wie viele Freunde man hat – und jeder packt selbstverständlich mit an“, so die Mitorganisatorin. O Die nächsten Veranstaltungen Der Hofflohmarkt im Beethovenviertel findet am Samstag, 17. Juni, von 9 bis 15 Uhr statt. Im Ulrichsviertel findet der Hof und Gartenflohmarkt am Samstag, 8. Juli, von 10 bis 15 Uhr statt.