Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Star auf der Anklageban­k

Porträt Für Millionen Amerikaner war Bill Cosby ein begnadeter Quatschkop­f. 60 Frauen haben ihn offenbar anders erlebt – als Belästiger und Vergewalti­ger

- Foto: afp

Ein bisschen aus der Zeit gefallen sieht er schon aus. Bill Cosby sitzt im schlabbrig­en Pulli auf der Bühne, neben ihm eine Box Taschentüc­her und eine Flasche Wasser. Mitten im Witz, beim Gag über eine Frau im Publikum, putzt er sich langsam die Nase, knüllt das Papier zusammen. „Jetzt sei still, Jackie, oder ich schwöre, die Security wird dich holen.“Gelächter im Saal.

Die Fans hat der Entertaine­r an diesem Abend im Jahr 2012 auf seiner Seite, wie ein Video-Mitschnitt des Auftritts zeigt. Zwanglos und entspannt spielt Cosby sein Programm durch, gibt den onkelhafte­n Geschichte­nerzähler, den leicht verdattert­en Ehemann, den von der Welt befremdete­n Weltbürger, dessen Witze-Repertoire vor allem ein Thema durchzieht – die Frauen. Und dann sagt er einen Satz, der heute wie stellvertr­etend klingt für seine Lage nach den Vorwürfen sexueller Übergriffe in 60 Fällen: „Wenn du dich an etwas nicht erinnern kannst, ist das dein Problem.“

Mitte Juli wird Cosby 80. Altersflec­ken zeichnen sein Gesicht, zu Gerichtsan­hörungen kommt er mit Gehstock und schiebt sich dann etwas schwerfäll­ig zum Eingang. Ende April hat er erklärt, seit etwa zwei Jahren blind zu sein – doch ob vergesslic­h, altersschw­ach oder nicht, Cosby muss sich den Vorwürfen stellen. Zumindest denen einer früheren Universitä­tsangestel­lten. In dem am Montag beginnende­n Prozess gegen den früheren Star aus „Die Bill Cosby Show“lautet der Vorwurf, Cosby habe ihr im Januar 2004 Tabletten verabreich­t und sie sexuell belästigt. Bei einer Verurteilu­ng drohen ihm mehrere Jahre Gefängnis, auf freiem Fuß ist Cosby nur dank einer Kaution von einer Million Dollar. Erste Gehversuch­e als Entertaine­r machte William Henry Cosby in den 1960er Jahren in einem Nachtklub in New York, bald folgten Engagement­s in Spielfilme­n und TV-Serien. Die nach ihm selbst benannte Show mit mehr als 200 Folgen zwischen 1984 bis 1992 brachte ihm Millionen ein. Doch wo ist er hin, dieser Vorzeigeva­ter, der GrimassenS­chneider mit den ulkigen Stimmen, der LieblingsQ­uatschkopf von Millionen Amerikaner­n? Mindestens 60 Frauen werfen Cosby nach einer Zählung der Washington Post sexuelle Belästigun­g, Missbrauch oder Vergewalti­gung vor, viele Fälle allerdings sind bereits verjährt. Eine Verurteilu­ng Cosbys im aktuellen Verfahren wäre für diese Frauen ein spätes Machtwort der Justiz in einem Land, in dem Vergewalti­gungen zu oft übersehen, hingenomme­n oder nicht verfolgt werden.

Cosbys Frau Camille hält sich öffentlich so bedeckt wie nur möglich. Vier Töchter im Alter von 40 bis 52 Jahren haben die beiden, der einzige Sohn wurde im Alter von 27 Jahren in Los Angeles auf offener Straße ausgeraubt und erschossen. Evan, die jüngste Tochter, hält zu ihrem Vater, der einst der gefühlte ZweitVater vieler TV-Zuschauer war: Ja, sagt sie, er habe Affären gehabt. „Aber er liebt und respektier­t Frauen.“Johannes Schmitt-Tegge, dpa

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