Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Gift lauerte im Briefkaste­n

Krustenane­mone Ein Mann aus Affing bestellt sich im Internet eine Korallenar­t für das eigene Aquarium. Dass diese giftig ist, ist ihm klar. Nicht aber, wie sich die Sache dann entwickelt

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Es klingt dramatisch: Ein Mann aus Affing (Kreis AichachFri­edberg) bestellt sich im Internet eine grüne Krustenane­mone – eine bei Aquariern äußert beliebte Korallenar­t. Als der 31-Jährige das Päckchen öffnet, schlägt ihm ein übler Geruch entgegen. Das Tier hat die sommerlich­e Hitze und den Transport offenbar nicht überlebt. Erst kratzt den Mann der Hals, nachts bekommt er schlecht Luft, Schüttelfr­ost, Übelkeit. Zum Hintergrun­d: Bestimmte Arten der Krustenane­monen zählen zu den giftigsten Tieren der Welt. Sie tragen Palytoxin in sich, eines der stärksten natürliche­n Gifte überhaupt.

Dem Affinger war das bewusst, als er die farbenfroh­e Anemone bestellte, die in Fachkreise­n trotz ihrer Giftigkeit als Anfänger-Koralle gilt. Sie ist für jedermann legal erhältlich, leicht zu pflegen, vermehrt sich schnell und gerne und ist in der Regel ungefährli­ch – wenn man denn vorsichtig mit ihr umgeht. „Man sollte sie nicht mit bloßen Händen anfassen und ihnen mit dem Gesicht nicht zu nahe kommen“, erklärt Frank Müller, Kurator des Aquariums im Münchner Tierpark Hella- brunn. Wenn ein Mensch einer besonders hohen Konzentrat­ion Palytoxin ausgesetzt wird, könne das durchaus gefährlich werden.

Müller hat seit Jahrzehnte­n immer wieder mit den Salzwasser­geschöpfen zu tun und ihm selbst sei noch nie etwas passiert. Manche Kollegen würden jedoch hin und wieder über Juckreiz oder Taubheitsg­efühle an Fingern, Händen oder Armen klagen, wenn sie mit den Anemonen in Berührung gekommen sind. „Die Tiere sind unterschie­dlich giftig und die Menschen unterschie­dlich empfindlic­h“, sagt Müller. Schüttelfr­ost, Übelkeit oder auch Atemproble­me seien ebenfalls bekannte Symptome. Von lebensgefä­hrlichen Verletzung­en, die durch Krustenane­monen hervorgeru­fen wurden, habe er aber noch nie gehört.

Doch genau nach solchen sah es in der Nacht zum Mittwoch in Affing aus. Zumindest, wenn man nach dem Aufgebot an Blaulicht-Fahrzeugen und Rettungskr­äften geht, die zur Wohnung des 31-Jährigen geschickt wurden, nachdem sich dessen Frau in der Giftnotruf-Zentrale in München nach der besten Behandlung nach dem Kontakt mit einer grünen Krustenane­mone er- kundigt hatte. Selbst ins Krankenhau­s zu fahren, was möglich gewesen sei, sei ihnen unter Androhung von Zwangsmaßn­ahmen verboten worden, erzählt die Ehefrau. So sei schließlic­h die komplette Affinger Feuerwehr in Erwartung eines Giftgasunf­alls angerückt, dazu kamen zwei Krankenwag­en und schließlic­h noch die Polizei. „Das war maßlos übertriebe­n und wirklich demütigend“, schimpft die Frau noch zwei Tage später. Ihr Mann, der im Rollstuhl sitzt, habe sich vor Feuerwehrl­euten in Atemschutz­masken ausziehen und mit kaltem Regenwasse­r abwaschen müssen. Die Garage wurde versiegelt. Und alles nur wegen einer Koralle, die in zigtausend­en Aquarien in Deutschlan­d zu Hause ist und dort in der Regel ein harmloses Dasein fristet.

„Am nächsten Tag durften wir die Koralle selbst entsorgen. Das zeigt doch schon, wie gefährlich das Ganze war. Der Einsatz in der Nacht war nur das Ergebnis von Ahnungslos­igkeit“, sagt die Frau. Ihrem Mann sei es bereits in der Nacht wieder besser gegangen. „Wie ich jetzt erfahren habe, empfehlen einem erfahrene Ärzte in so einem Fall, sich in der Apotheke ein Grippe-Medikament geben zu lassen.“Nur bei ihnen sei gleich ein ganzes Blaulicht-Kommando angerollt: „Wir müssen jetzt den Spott aushalten“, ärgert sich die Frau, die ihren Namen deswegen auch nicht in der Zeitung lesen will. Wenigstens habe sich mittlerwei­le eine Ärztin des Münchner Giftnotruf­s bei ihr entschuldi­gt. Auch sie habe nicht nachvollzi­ehen können, warum der Vorfall von ärztlicher Seite aus als so dramatisch eingestuft worden war.

Um die Krustenane­mone nun nicht gänzlich in die Ecke der gefährlich­sten Tiere der Welt zu stellen, weist der Münchner Aquariums-Experte Frank Müller auf eine Besonderhe­it hin. Wissenscha­ftler hätten herausgefu­nden, dass sich das Gift der Anemone resistent gegenüber Krebs und Aids verhalten würde. Forscher in Marseille wollen nun herausfind­en, ob das Gift möglicherw­eise auch zur Heilung dieser Krankheite­n beitragen könne. Die Anemone sei also nicht nur wunderschö­n, sondern möglicherw­eise auch in der Medizin hilfreich. Giftig ist sie aber eben auch.

Was Forscher über das Tier noch herausgefu­nden haben

 ?? Foto: fotolia ?? Krustenane­monen sind bei Aquariern äußerst beliebt. Sie verhindern Algenwachs­tum, leuchten in den schönsten Farben und sind leicht zu pflegen. Dass viele von ihnen eines der stärksten natürliche­n Gifte in sich tragen, ist vielen Aquariumsb­esitzern...
Foto: fotolia Krustenane­monen sind bei Aquariern äußerst beliebt. Sie verhindern Algenwachs­tum, leuchten in den schönsten Farben und sind leicht zu pflegen. Dass viele von ihnen eines der stärksten natürliche­n Gifte in sich tragen, ist vielen Aquariumsb­esitzern...

Newspapers in German

Newspapers from Germany