Augsburger Allgemeine (Land West)
Immer weniger Apotheken auf dem Land
Medizin Wenn es in einer Gemeinde keinen Hausarzt mehr gibt, schließt oft auch die Apotheke. Die Branche steht unter Druck
Augsburg
Es ist etwas mehr als einen Monat her, da wurde die OdenwaldGemeinde Hüffenhardt Schauplatz eines Streits. Es fing damit an, dass 2015 die Apotheke in der 2000-Einwohner-Gemeinde schloss. Wer ein Medikament brauchte, brachte sein Rezept zu einer Sammelstelle. Die Apotheken aus den Nachbarorten holten es ab und lieferten die Arznei aus. Dann mischte sich die niederländische Versandapotheke Doc Morris ein. Sie eröffnete in Hüffenhardt Deutschlands ersten Medikamenten-Automaten.
Kommt ein Kunde, kann er sich über ein Video-Telefonat von einem Apotheker in den Niederlanden beraten lassen. Dieser gibt dann per Knopfdruck ein Medikament frei, das der Kunde aus dem Automaten entnehmen kann. Schon 48 Stunden, nachdem der Automat in Betrieb gegangen war, stoppte das Regierungspräsidium den Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten in Hüffenhardt. Der Automat sei eine Apotheke, allerdings habe er dafür weder eine Genehmigung, noch sei ein ausgebildeter Apotheker vor Ort, sagten Kritiker. Doc Morris rechtfertigt sich, der Automat sei keine Apotheke, sondern eine Variante des Versandhandels. Am 14. Juni wird ein Gericht entscheiden, wer recht hat.
Natürlich ist das Beispiel kurios. Aber es steht für ein Problem. Denn ähnlich wie die Zahl der Hausarztpraxen geht auch die der Apotheken auf dem Land immer weiter zurück. 2009 gab es 3439 Apotheken in Bayern. Vergangenes Jahr waren es noch 3205. Tendenz fallend.
„4000 Kunden braucht eine Apotheke in etwa, damit sie sich trägt“, sagt Clemens Recker. Er forscht am Institut für Wirtschaftspolitik in Köln zur Versorgungssicherheit mit Medikamenten. „Dass immer mehr Apotheken schließen, ist eine wirtschaftliche Entwicklung und hat mit einem Apothekensterben noch nichts zu tun“, sagt er. Denn im ländlichen Raum schrumpft die Bevölkerung – und damit nimmt die Zahl der Kunden ab.
Vor allem Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern sind betroffen, aber ein Blick in die Zahlen der Bundesvereinigung der Deutschen Apothekerverbände zeigt: Auch in Schwaben und Oberbayern gibt es zum Teil nur bis zu 23 Apotheken je 100 000 Einwohner. Damit findet sich die Region am unteren Ende der Skala. Eine Erhebung des Thünen-Instituts für Ländliche Räume zeigt, dass die meisten Menschen in der Region etwa vier Kilometer von der nächsten Apotheke entfernt leben. Ab sechs Kilometern werde die Versorgungssicherheit kritisch, heißt es in einer Untersuchung von Wirtschaftswissenschaftler Recker.
„In Zukunft werden Apotheken nur noch da sein, wo auch Ärzte sind“, glaubt Ulrich Koczian. Er ist Apotheker in Augsburg und Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer. „In kleinen Orten ohne Arzt kann man nur schwer eine Apotheke betreiben“, meint er. Dass damit die Versorgungssicherheit auf dem Land gefährdet wird, hält er für Unsinn. Schließlich habe man am Beispiel von Supermärkten gesehen, dass sie sich auf Orte konzentrieren, zu denen Kunden kommen. „Und es gibt Rezeptsammelstellen. Zudem liefern alle Apotheken“, fügt Koczian hinzu.
Doch Apotheker setzt noch etwas anderes unter Druck: der OnlineHandel mit Medikamenten. In Deutschland kosten rezeptpflichtige Medikamente in allen Apotheken gleich viel. So soll ein Preiswettbewerb verhindert werden. Zwar können die Pharmahersteller unterschiedlich viel für ihre Arzneimittel verlangen, Großhändler und Apotheker schlagen allerdings immer den gleichen, festen Satz auf. „Ein Apotheker bekommt immer etwas mehr als acht Euro. Egal, welches Medikament er verkauft“, sagt Koczian. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte allerdings, dass die Preisbindung ausländischen Anbietern den Zugang zum Markt erschwere und deshalb unzulässig ist. Mit diesem Urteil fürchten Apotheker um ihre Geschäftsgrundlage. Denn 80 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaften sie mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Auch deshalb kündigte Gesundheitsminister Hermann Gröhe nach der EuGH-Entscheidung an, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln ganz zu verbieten. Nach Ansicht des Experten Recker könnte das aber schwierig werden.