Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein mutiger Einsatz und seine Folgen
Sicherheit In einer Straßenbahn beschimpft ein Betrunkener zwei Mädchen und zückt ein Messer. Ein junger Mann reagiert schnell und verhindert womöglich Schlimmeres. Die Resonanz auf den Vorfall ist groß
Der Regenschauer am Dienstagabend letzter Woche dauerte nicht lange, vielleicht eine Dreiviertelstunde. Dafür war er umso heftiger. Samantha Wagner eilte gegen 20.45 Uhr in die Straßenbahn der Linie 1, die an der Station Berliner Allee gehalten hatte. Sie hatte eine Freundin besucht und war nun auf dem Weg nach Hause, die Freundin kam noch mit und hatte einen Schirm dabei. Gemeinsam wollten die beiden 13-Jährigen nur eine Station weiter wieder aussteigen, am Jakobertor.
Kaum waren sie in die Tram eingestiegen, beschimpfte sie jedoch ein 59-jähriger Mann. „Meine Freundin hatte den Schirm noch offen“, erzählt Samantha Wagner. Der Mann raunzte das Mädchen an, es solle ihn schließen, er wurde laut. Betrunken sei er ihr vorgekommen, erzählt die 13-Jährige. Er hatte, so stellte sich später heraus, knapp zwei Promille Alkohol im Blut. Emre Kaya, ein weiterer Fahrgast, kam den Mädchen zur Hilfe: Der 59-Jährige solle normal reden, sagte er. Die Situation eskalierte vollends, als der 59-Jährige ein Messer zückte. Samantha Wagner und ihre Freundin waren in Richtung des Fahrers geflüchtet, Emre Kaya reagierte schnell, versetzte dem betrunkenen Fahrgast einen Tritt und verhinderte womöglich Schlimmeres. An der nächsten Haltestelle packte er den 59-Jährigen und zog ihn aus der Tram.
Eine Woche später sitzt Kaya nun auf einer Bank in einem Raum in einem Gebäude in der Steinernen Furt in Lechhausen, Samantha Wagners Mutter Diana Wagner und ihr Stiefvater Heinz Gailat haben zum Termin geladen. Die Eltern bedanken sich bei dem jungen Mann, der mutig gehandelt und ihre Tochter und deren gleichaltrige Freundin beschützt hat. „So hätte nicht jeder reagiert“, sagt Diana Wagner.
Kaya, 23, hatte am Dienstagabend zunächst keine Zeit, sich für die Aktion groß feiern zu lassen: Er musste zur Arbeit. Kaya ist beim Autozulieferer Borscheid+Wenig in Diedorf in der Montage tätig. Zunächst wusste die Polizei daher auch nicht, wer der Helfer war. Den Täter griffen die Beamten jedoch an der Haltestelle auf, nahmen ihm das Messer ab und erfassten seine Personalien. Eingesperrt wurde der 59-Jährige nicht.
Kaya sagt, dass er früher Kampfsport machte, habe ihm geholfen, sich gegen den bewaffneten Mann zu wehren. Früher trainierte er Thai-Boxen. Auch Samantha Wagner wird künftig wohl Kampfsport üben. Ihre Eltern wollen in dem Gebäude, in das sie geladen haben, im Juli eine Schule für Selbstverteidigung und Gewaltprävention aufmachen. 100 Kindern und Jugendlichen, sagt Heinz Gailat, wolle er kostenlos einen Kurs anbieten. Das Thema ist ihm wichtig.
Die Resonanz auf den Vorfall ist groß. Von der Zeitarbeitsfirma, bei der er beschäftigt ist, hat Kaya für seinen Einsatz einen Einkaufsgutschein im Wert von 100 Euro erhalten. In den sozialen Netzwerken loben zahlreiche Nutzer die Zivilcourage von Emre Kaya. Wie er die Sache sieht, hat er auf Facebook bereits am vergangenen Mittwochnachmittag geschrieben. Er habe es nicht gemacht, um als Held dazustehen, schrieb er, sondern weil das Mädchen in dem Moment Angst hatte und Hilfe brauchte. Manchmal ist es so einfach.